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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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allein waren.
    Der Junge war verschwunden.
    Es dauerte eine halbe Stunde, bis der Krankenwagen kam, in der
Zwischenzeit versuchte Per, Vendela warm zu halten und aus ihrer
Bewusstlosigkeit zu wecken. Als der Wagen endlich eintraf, hatte Vendela ihre
Augen geöffnet und war auch mehrere Minuten lang wach gewesen, bis sie wieder
in sich zusammensank. Sie hatte einen flachen, aber regelmäßigen Atem.
    Die Rettungssanitäter kamen mit ihren Notfallkoffern angerannt,
zogen Vendela die Jacke aus und maßen ihren Blutdruck. Per trat zur Seite.
    »Wir nehmen sie mit nach Kalmar«, entschied einer der Sanitäter.
    Jetzt war auch Vendela eine Patientin geworden, genauso wie Nilla.
    »Wird sie es schaffen?«
    »Ganz bestimmt. Sind Sie ihr Mann?«
    »Nein ... ich bin ein Freund. Aber ich werde versuchen, ihren Mann zu
erreichen.«
    Zehn Minuten später brachen sie auf in Richtung Brücke und Festland.
Per atmete auf.
    Er nahm Vendelas Daunenjacke und machte sich auf den Nachhauseweg,
den Kiesweg hinunter und dann auf den Pfad, der in die Alvar führte. Am Ende
des Pfades wartete der kleine Junge auf ihn. Er hatte seine Holzkiste unter dem
Strauch hervorgeholt und sich daraufgesetzt.
    »Der Krankenwagen ist losgefahren. Vielen Dank für deine Hilfe«,
sagte Per.
    Der Junge erwiderte nichts. Die Dämmerung brach langsam herein.
    »Findest du den Weg nach Hause?«
    Der Junge nickte.
    »Sehr gut«, sagte Per und wollte gerade gehen. »Sag mal, was ist das
eigentlich für eine Holzkiste?«
    Der Junge sah ihn eine Weile schweigend an, als würde er abwägen, ob
er Per vertrauen konnte.
    »Ich zeig es dir.«
    Er stand auf und hob den Deckel der Holzkiste hoch. Die Kiste hatte
keinen Boden, im Gras darunter lag eine rostige kleine Blechkiste. Der Junge
hob den Deckel an und zeigte Per, was sich darin verbarg.
    »Ich brauche die Holzkiste, um auf den Stein zu kommen«, erklärte
er. »Da liegen fast immer neue Sachen in den Kuhlen.«
    Per sah, dass die Blechkiste zur Hälfte mit Münzen und kleinen
silbernen Schmuckstücken gefüllt war.
    Und obendrauf lag ein funkelnder Ehering.
    67
    A m
Abend vor der Walpurgisnacht saß Gerlof in seinem Garten, mit einer Decke über
den Beinen. Er meinte, Sirenen auf der Landstraße zu hören. Krankenwagen,
Feuerwehrauto oder Polizeiwagen?
    Vermutlich war es ein Krankenwagen. Vielleicht hatte ein Mitbewohner
im Altersheim von Marnäs einen Herzinfarkt erlitten? Er würde früher oder
später davon in der Zeitung erfahren.
    Er hatte sich nach dem Abendessen in seinen Gartenstuhl gesetzt und
wollte noch nicht wieder ins Haus gehen. Immerhinwar es Walpurgisnacht, der
Höhepunkt des Frühlings, der Abend, an dem alle schwedischen Studenten in den
Straßen feierten, um den Mai zu begrüßen. Da konnte man nicht einfach im Haus
sitzen bleiben.
    Der Himmel verdunkelte sich mit jeder Minute mehr, und ein leichter
Wind war aufgekommen und raschelte in den Baumkronen über ihm. Und die
Singvögel, die in seinem Garten wohnten, verstummten, einer nach dem anderen.
Wenn die Sonne unterging, würde es noch empfindlich kalt werden, vielleicht gab
es sogar Frostgrade. Eigentlich kein Wetter, um draußen zu sitzen, er sollte
bald ins Haus gehen und Nachrichten sehen.
    Gerlof hatte sich zwar Per Mörner gegenüber geweigert, sich mit
Rätseln und Geheimnissen zu beschäftigen, aber er konnte es nicht verhindern,
dass seine Gedanken wanderten. Von Kindesbeinen an war er unheilbar darauf
fixiert, und so saß er nun mit dem Tagebuch seiner Frau im Schoß und dachte
nach über ihren Troll, ihr kleines Kerlchen, der Henry Fors’ Sohn gewesen sein
musste.
    Aber was war aus ihm geworden? Er war laut Ellas Aufzeichnungen
Richtung Steinbruch gerannt, aber was war wirklich geschehen, als er Henry an
der Kante des Steinbruchs erreicht hatte?
    War ein Streit ausgebrochen, der zu einem Mord führte? Oder war es
ein Unfall? Wie auch immer, wenn der Junge dabei ums Leben gekommen war, musste
er unter einem der Steinhaufen im Steinbruch vergraben sein.
    Wenn Gerlofs Beine zehn Jahre jünger und beweglicher gewesen wären,
hätte er sich sofort aufgemacht, um im Steinbruch danach zu suchen. Aber sein
Körper war zu alt und zu steif, außerdem war er sich auch nicht vollkommen
sicher, dass Henry den Leichnam seines Sohnes dort verscharrt hatte.
    Und wo sollte er mit der Suche beginnen?
    Da erkannte Gerlof plötzlich, dass er sich von der Fixierung auf
seinen eigenen Tod verabschiedet hatte – seit Ostern hatte er keinen Gedanken
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