Blutstein
den Steinen
ans Licht gefunden. Und zwischen den Steinhaufen streckten sich kleine Büsche
mit frischem Laub.
Per musste daran denken, wie berechenbar das Leben manchmal schien,
und dann kam es doch ganz anders, als gedacht, und wurde nie wieder so, wie es
einmal war.
Die Steintreppe hatte er nicht wieder errichtet, alle Spuren waren
beseitigt. Nachdem Thomas Fall aus dem Autowrack geborgen und sein Wagen Anfang
Mai von der Polizei abgeholt worden war, hatte Per entschieden, dass er keine
Abkürzung zum Strand benötigte. Zusammen mit Jesper hatte er ein Wochenende
damit verbracht, die Steinblöcke zurückzuschleppen und den Kies im Steinbruch
zu verteilen.
Heute waren Jesper und John Hagman damit beschäftigt, Kies zu
schaufeln und Steinblöcke hin und her zu transportieren. Aber ihr Ziel war es
nicht, eine neue Treppe zu bauen.
»Da war’s!« Jesper zeigte Gerlof die Stelle, an der er das
Knöchelchen gefunden hatte.
Er deutete auf den großen Steinhaufen, wo Per sich versteckt hatte,
als Thomas Fall ihn durch den Steinbruch gejagt hatte. Dort wurde nun gegraben.
Per stand in seinem Garten und sah ihnen zu. Er hatte ein anderes
Projekt. Er hatte einen dreibeinigen Grill an der Felskante aufgebaut und
begonnen, darin altes Laub und Papiere zu verbrennen. Das ging überraschend
gut, trotz des verbundenen Arms.
Das Laub hatte er im Garten zusammengeharkt, die Unterlagen gehörten
seinem Vater. Es waren jene Verträge, die Thomas Fall bei dem Einbruch in
Jerrys Wohnung in Kristianstad gestohlen hatte – fast zweihundert Verträge
hatte Fall entwendet und sie aus einem unerfindlichen Grund in seiner Wohnung
aufbewahrt, statt sie zu entsorgen. Die Polizei hatte sie bei einer
Hausdurchsuchung entdeckt und sich Namen und Adressen kopiert. Der Staatsanwalt
hatte Per die Unterlagen zukommen lassen, da er als rechtmäßiger Erbe angesehen
wurde.
Per stand vor dem Feuer und blätterte ein letztes Mal durch die
Papiere. So viele gefälschte Namen.
Daniele, Cindy,
Savannah, Amber, Jenna, Violet, Chrissy, Marilyn, Tammy ...
Eine lange Reihe von Traumgestalten. Daneben standen ihre wirklichen
Namen und Adressen. Diese Angaben waren säuberlich aufgeführt unter dem Strich,
auf dem die Modelle ihre Unterschrift geleistet hatten, dass sie den Aufnahmen freiwillig
zustimmten. Als er am Abend zuvor die Dokumente durchgesehen hatte, war er auch
auf einen ganz bestimmten Namen gestoßen: Regina .
Lange hatte er das Stück Papier betrachtet.
Reginas bürgerlicher Name war Maria Svensson. Das war kein seltener
Name, und wahrscheinlich stimmten auch Telefonnummer und Adresse nicht mehr,
aber ihre Personennummer war aufgeführt. Es wäre ein Leichtes, sie ausfindig zu
machen.
»Woran denkst du gerade, Papa?«
Per drehte sich zu Nilla um. Sie saß in ihrem Rollstuhl auf der
Veranda und hatte ihn beobachtet.
»Rate mal.«
»Ich kann nicht ... mein Kopf ist ganz leer.«
»Na siehst du!«, Per lachte. »Meiner auch.«
Neben Nilla saß Gerlof. Siebzig Jahre Altersunterschied trennte die
beiden, aber sie schienen sich gut zu verstehen, wie sie da in ihren
Rollstühlen beisammensaßen. Sie waren noch ziemlich mitgenommen, würden sich
aber bis zum Sommer erholt haben.
Nilla und Jesper hatten auch mittlerweile erfahren, dass ihr
Großvater gestorben war, aber auf die Beerdigung in der vergangenen Woche war
Per alleine gegangen. Als einziger Vertreter der Familie Mörner.
Jerrys Sarg war mit schönen Blumen verziert gewesen, aber in der
Kapelle hatten sich nur sehr wenige Menschen versammelt. Ein paar entfernte
Cousinen waren angereist, der Priester und ein Polizist waren anwesend – und
eine etwa fünfundsechzigjährige Frau in Schwarz, die sich in die letzte Reihe
gesetzt hatte und unmittelbar nach Ende der Zeremonie verschwand. Aber sie
hatte ihren Namen ins Kondolenzbuch eingetragen, und als Per als Letzter die
Kapelle verließ, warf er einen Blick hinein:
Susanne Fall stand
dort.
Das war Thomas’ Mutter, die von Jerry Abschied genommen hatte.
Jerry hatte nie davon erfahren, dass er Thomas Falls Vater war.
Susanne hatte es ihm gegenüber offensichtlich verschwiegen, aber sie muss es
ihrem Sohn gesagt haben. Thomas war offenbar im Schatten seines
berühmt-berüchtigten Vaters aufgewachsen und hatte, ganz anders als Per, sich
dazu entschlossen, anonym für ihn zu arbeiten. Er hatte sich die Identität
seines Lehrers
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