Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Blick und sah vor dem jetzt klaren Himmel einen Uhu zwischen den Bäumen dahinsegeln. Der Vogel hatte seine nächtliche Jagd beendet und kehrte mit ausgebreiteten majestätischen Flügeln zu seinem Nest zurück. Diego rieb sich die Augen und sah ihm nach, bis er nur noch ein Punkt in der Ferne war.
Er holte Atem und kroch langsam vorwärts. Sich an den Wurzeln festhaltend, schob er sich von einem Busch zum anderen, von einem Baum zum nächsten voran.
Nach einigen Minuten stieß er auf einen Wildbach. Er war nach den Regenfällen angeschwollen und bahnte sich schäumend seinen Weg durch Felsblöcke und Gestein, strudelte gegen die Ufer, gurgelte zwischen den Ästen und stürzte sich mit Wucht bergab. Darauf achtend, dass ihn das Wildwasser nicht mitriss, kroch Diego heran und trank mit großen Schlucken. Wie er so dahockte, weitvornübergebeugt, ähnelte er einem Panther. Er schöpfte Wasser mit hohlen Händen und klatschte es sich ins Gesicht. Immer wieder. Bald fühlte er sich besser und setzte seinen Weg fort.
Von hier unten musste er nun einen Hang erklimmen, bis zu der Stelle, wo er die Straße erspäht hatte.
Das war seine einzige Rettung.
Trotz mehrerer Versuche, die Böschung hinaufzuklettern, gelang es ihm nicht, da sie zu schlammig war. Er rutschte aus, rappelte sich hoch, rutschte wieder aus und musste schließlich aufgeben. Durchnässt humpelte er weiter, um nach einem Durchgang zu suchen, doch er stolperte ständig und fiel hin. Und kehrte nach wenigen Schritten immer wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Die Piste lag nahe am Meer.
Der aus der Sahara herüberwehende Schirokko hatte sie mit einer Schicht aus gelbem Sand überzogen.
Die Polizisten von der Fliegerstaffel hatten den Hubschrauber Augusta Bell 212 aus dem Hangar gezogen. Als der Colonnello und Capitano Foti eintrafen, rotierten die Propellerblätter bereits. Zuerst langsam, dann mit immer schnelleren Umdrehungen. Der Mechaniker hatte die Routinechecks beendet, die vor jedem Einsatz vorgeschrieben waren. Alles war bereit.
Auf diesen Wind hätten wir wirklich gut verzichten können, dachte Trimarchi, als er aus dem Dienstwagen stieg, um gefolgt von Foti zum Hubschrauber zu gehen.
»Zu Befehl!«, grüßte vor der Klappe der Pilot, ein junger Ispettore, und stand stramm.
Sie kletterten an Bord und setzten sich in die erste Reihe, direkt hinter den Piloten und den Navigator.
»Wir nehmen zuerst Kurs auf die Küste und folgen ihr ein Stück. Das dauert zwar ein paar Minuten länger, aber der Flug ist dafür angenehmer«, sagte der Pilot über Kopfhörer zu Trimarchi.
»Einverstanden.«
Kurz darauf flogen sie, der Küstenlinie folgend, in ein paar Hundert Metern Höhe über das Ionische Meer. Eine halbe Stunde später drehte der Pilot ins Hinterland ab.
Auf dem Kiesbett der Fiumara, an der günstigsten Stelle, empfing sie der Kommandant der Station von San Piero d’Aspromonte mit seinen Männern.
Unterdessen stattete Commissario Ferrara Alfredo Prestipino erneut einen Besuch ab.
Der Mann deutete ein Lächeln an, doch sein Gesicht war angespannt. Er hatte eine schlaflose Nacht hinter sich.
»Dottore, etwas will mir nicht in den Kopf. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgegrübelt«, sagte er nach der Begrüßung.
»Was will Ihnen nicht in den Kopf?«
»Seit ich hier bin, höre ich nichts von meiner Frau und meiner Tochter. Sie sagen mir einfach nichts, das kann doch nicht sein!«
»Aber Signor Prestipino, es sind noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden vergangen! So etwas braucht Zeit, die Bürokratie …«, wich der Commissario aus.
»Die Bürokratie, ja, ja, ich verstehe schon, aber meine Frau, was hat meine Frau mit der Bürokratie zu tun?«
»Der Colonnello ist unterwegs, um mit ihr zu sprechen. Indiesen Minuten befindet er sich bereits in San Piero. Seien Sie ganz beruhigt.«
Prestipino schien sich ein wenig zu entspannen.
»Warten wir also, bis er mit meiner Frau und meiner Tochter zurückkommt. Erst dann rede ich weiter.«
»Ja, warten wir ab, keine Sorge.«
Ferrara ging wieder, nachdem er den Wachbeamten noch eingeschärft hatte, dem Zeugen keine Zeitungen zu geben.
Vor allem nicht die Gazzetta del Sud .
Nach rund einer Stunde gelang es Diego, an einer mit Bodendeckern bewachsenen Stelle hinaufzuklettern. Er hielt sich an Grasbüscheln und Gesträuch fest und robbte den Hang hinauf.
Auf diese Weise erreichte er die Straße. Es erschien ihm wie ein Wunder.
Er setzte sich auf eine Mauer, die in einer Kurve als
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