Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Autohupen und, je nach Windrichtung, der dunkle, ferne Klang von Kuhglocken, wenn die Tiere nacheinander zum Bach hinunterliefen. Manchmal kamen noch die Rufe eines Hirten hinzu. Er fühlte sich schwach und hatte Kopfschmerzen. Allmählich wurde es ihm fast zur Gewissheit, dass etwas Schwerwiegendes vorgefallen war. Das Wort »Madama« hatte sich in seinem Gehirn festgesetzt wie eine Klette.
Ängstliche Besorgnis überkam ihn. Die sind abgehauen und haben mich hier in diesen Bergen zurückgelassen … Vielleicht wird mich niemand finden … Ich werde hiereinsam sterben wie ein Hund, nein schlimmer … Dieser verdammte ’Ntoni, er soll in der Hölle schmoren, er und all seine Helfershelfer … in der Hölle, jawohl!
Er befand sich in einer absurden Lage, und je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, dass es nur eine Möglichkeit gab, sich aus ihr zu befreien.
Er durfte nicht länger warten.
Es war eine Frage von Leben und Tod. Er musste von hier weg, so schnell wie möglich.
New York
Luigi Cannizzaro wohnte in Brooklyn, im Bezirk Bensonhurst, nördlich von Coney Island.
In diesem Viertel gab es eine ansehnliche italienische Gemeinde, und man konnte die typisch südländische Heiterkeit entlang der Hauptstraße, der 86th Street, spüren, in den Lebensmittelgeschäften, den Restaurants und Cafés.
Luigi Cannizzaros Wohnung lag im ersten Stock eines kleinen Wohnhauses mit rosa gestrichener Fassade. Der Eingang befand sich an der Ecke zwischen einem Haushaltswarenladen und dem Restaurant Il Giardino. Die Freifläche davor diente als Parkplatz. Cannizzaro lebte mit seinen alten Eltern zusammen.
Die FBI -Agents erkundeten vorab mehrmals die Gegend. Sie kannten das Viertel gut, es hatte einen ausgesprochen schlechten Ruf. Erpressung, Prostitution und Drogenhandel waren die vorherrschenden kriminellen Aktivitäten. Dann setzten sie ihren Überwachungsplan in die Tat um. Sie parkten einen Lieferwagen mit Schiebetüren und getönten Scheiben zwischen zwei PKW . Auf beiden Seiten stand in dunkelgrünem Lack der Schriftzug einer Elektroinstallationsfirma. Darin saßen zwei Agents und behielten den Hauseingang und den Bürgersteig im Auge. Zwei als Stadtstreicher verkleidete Agenten ließen sich gerade vor der Tür nieder und bettelten um Kleingeld. Sie trugen zerschlissene Hemden unter schmutzigen und an mehreren Stellen zerrissenen Winterjacken, an den Füßen uralte Stiefel, deren Sohlen sich an den Spitzen ablösten. Bei sich hatten sie Plastiktüten voller Lumpen und alter Zeitungen. Auch ihre Aufgabe war es, jede Bewegung im Umfeld des Hauses zu beobachten. Die Zielperson: Luigi Cannizzaro. Sie hatten sich sein Gesicht anhand des Fotos in seinem erst vor kurzem ausgestellten Reisepass eingeprägt.
Der Plan sah auch zwei Zivilfahrzeuge vor, die kreuz und quer in der Gegend herumfuhren. Um sich untereinander zu verständigen, benutzten sie Funkgeräte über einen codierten Kanal.
Die verschiedenen Einheiten wurden von Special Agent Mary Cook koordiniert.
Bereits vor der Postierung der observierenden Agents war mit der Überwachung der Telefone des Verdächtigen, des Hausanschlusses und seines Mobiltelefons, begonnen worden. Jedes Gespräch Luigi Cannizzaros wurde aufgezeichnet. Bei seinem letzten Anruf hatte er zu Hause bei seiner Mutter Bescheid gesagt, dass er in Kürze zum Abendessen kommen werde.
Die beiden Stadtstreicher beobachteten die Umgebung mit erhöhter Wachsamkeit.
Im Hauptquartier des FBI diskutierten Dick Moore und John Reynolds immer noch über die Neuigkeiten aus Italien.
»Eine äußerst ungewöhnliche Frau, das habe ich gleich gedacht«, sinnierte Reynolds und sah wieder Angela Fedeli vor sich, wie sie ihm bei der Vernehmung am 2. November gegenübergesessen hatte.
»Wir müssen den stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt informieren«, bemerkte Moore und unterbrach damit Reynolds’ Gedanken.
»Ja, einverstanden. Und zwar schnell«, pflichtete Reynolds bei.
»Vielleicht wäre es auch an der Zeit, ein formelles Amtshilfeersuchen zu stellen, um ganz offiziell an die Ergebnisse der Operation Bergamottblüte gelangen zu können, vor allem an die Protokolle der Aussagen von Alfredo Prestipino«, fuhr Moore fort.
»Auf jeden Fall, die könnten uns nützlich sein.«
»Es gäbe da auch noch einen anderen Grund …«
»Und zwar?«
»Die Bezirksstaatsanwaltschaft könnte sich einschalten, um die sofortige Überführung von Alfredo Prestipino hierher zu
Weitere Kostenlose Bücher