Bluttaufe: Thriller
So jemand fängt damit nicht plötzlich an, der tastet sich vor, steigert sich und überschreitet irgendwann die Schwelle. Und dann beginnt er, seine Fantasien zu leben.«
»Tja, Gewalttätigkeit, Perversität, Tierquälerei, Vergewaltigung, Nötigung … da habt ihr eine Menge an Hausarbeiten zu erledigen«, sagte Klanke.
»Es sei denn, wir haben DNA«, wiederholte Mangold. »Das dürfte die Sache erleichtern.«
Hensen fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
»Woran denkst du?«, fragte Mangold.
»An Ähnlichkeiten«, sagte Hensen, »an furchtbare Ähnlichkeiten.« Dann schüttelte er den Kopf, als wollte er den
Gedanken verscheuchen und sagte: »Nachher, wir reden nachher darüber.«
Drei Stunden später saßen Mangold und Hensen im Auto und fuhren zurück. Klanke hatte zugesichert, dass er die Ergebnisse der Spurensicherung umgehend schicken würde. Der Leichnam wurde vom Tatort direkt in die Hamburger Gerichtsmedizin überführt.
Mangold sah hinüber zu Jan Hensen. Die kurz geschnittenen Haare waren struppig, über seiner Nasenwurzel hatten sich zwei steil nach oben laufende Falten eingegraben. Rundliches Gesicht, immer etwas spöttische und doch warme Augen, dünne Lippen, die eine gerade Linie weißer Zähne verbargen, die Mangold wegen ihrer Regelmäßigkeit an die Tasten eines Klaviers erinnerten.
Der Journalist hatte die Augen geschlossen. Auch er selbst musste das Gesehene erst mal sacken lassen. Nicht zu tief, nur gerade dorthin, wo auch die anderen Leichen lagen, die er sich hatte ansehen müssen. Eine gnädige Hirnregion, die half, die Bilder langsam verblassen zu lassen. Was blieb, waren die Tatorte, das Blut an Wänden, die Kampfspuren, und vor allem die Filme, die sich einstellten, wenn er versuchte, sich das Geschehene vorzustellen. Der Alltag, in den die Gewalt einbrach, und dann der Todeskampf.
Die Frau, über deren Leichnam sie sich gebeugt hatten, war nicht dort im Wald gestorben. Man hatte sie abgelegt, nicht weggeworfen oder entsorgt, der Täter hatte die Leiche arrangiert, aus den abgetrennten Gliedmaßen und dem Torso eine Art auseinandergeschnittener Marionette geformt und Botschaften hinterlassen. Wenn Hensen
Recht hatte, dann war er an diesen Ort zurückgekehrt. In der vergangenen Nacht.
Mangold sah auf die Uhr. Es würde ein paar Stunden dauern, bis Klanke ihm die ersten Ermittlungsergebnisse schicken würde. Früher hätte er jetzt frische Brötchen geholt und wäre auf eine halbe Stunde nach Hause gefahren. Hätte Vera mit dem Frühstückstablett in der Hand geweckt. Das war vorbei, doch dieses Bild wollte nicht verblassen, es lag in einer Schublade seines Hirns, die sich von allein öffnete. Immer wieder. Er hatte keinen Schlüssel, den er hätte umdrehen und wegwerfen können.
Hensens Atem rasselte, sein Kopf lehnte am Fenster. Mangold wollte ihn bei passender Gelegenheit fragen, wo er seine Bilder aufbewahrte. Die zerfetzten Leiber der Toten auf den Schlachtfeldern, die angeschossenen und durch Landminen verkrüppelten Kinder, traumatisierte Frauen, die über die Kriegsschauplätze im ehemaligen Jugoslawien und in Darfur irrten. Ein Kriegsreporter, der sich nun dem heimischen Schlachtfeld zugewandt hatte. Nicht ganz freiwillig, aber Mangold war dankbar für seine Hilfe. Hensen konnte Situationen blitzschnell erfassen, er verfügte über ein schier unglaubliches Wissen. Und er war ein akribischer Beobachter. »Meine Lebensversicherung«, wie er es nannte.
»Das war ein Anfang«, sagte Hensen mit geschlossenen Augen, »ein Auftakt.«
»Was?«
»Der Täter fängt gerade erst an, es ist ein Auftakt.«
»Hört sich theatralisch an. Und eine besonders brutale Beziehungstat, wie wär’s damit?«
Hensen kramte ein Lakritzbonbon aus seiner Tasche.
»Warum dieses Durcheinander?«, fragte er. »Entweder du versteckst eine Leiche oder du präsentierst sie wie eine Trophäe. Eine Samenspur und daneben eine aufgerissene Kondompackung. Alle weiteren sichtbaren Spuren beseitigt, außer einem Kassenbon, der direkt neben der Leiche liegt. Mit krakelig geschriebenen Wörtern drauf. Kassenbon und Geldnote, Man-Power und Goldmais.«
»Du glaubst doch nicht an dieses Klanke-Silbenrätsel? Warum sollte jemand ausgerechnet mich meinen?«
»Keine Ahnung«, sagte Hensen. »Sicher ist nur die Inszenierung. Ein Schaustück namens Bundy.«
»Bundy?«
»Ted Bundy, der Campus-Killer. Hat in den Siebzigern die Erdenbewohner mit seiner Anwesenheit beglückt. Eine Berühmtheit unter den
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