Bluttaufe: Thriller
sich trotz aller Bemühungen nicht identifizieren ließ. Der wahrscheinlich aus Asien stammende Mann hatte in Hamburg weder eine Familie noch enge Freunde gehabt. Vielleicht hatte ihn ein Saufkumpan übers Brückengeländer geworfen?
Und jetzt jagten sie einem Perversen hinterher, der seine Vorgehensweise von einer miesen Fernsehserie abgekupfert haben musste.
Tannen sah auf die Uhr. Um acht musste er seinen zweiten Job antreten. Eingangskontrolle zu einem Schuppen, in dem sich junge Leute ihre Trommelfelle demolieren ließen. Sieben Euro die Stunde. Den ganzen Abend würde er sich die Beine in den Bauch stehen und darüber entscheiden, wer in den meist überfüllten Laden durfte und wer nicht.
»Das hilft deinem Energieausgleich«, hatte seine Freundin Joyce gesagt, als er laut darüber nachgedacht hatte, diesen Nebenjob hinzuschmeißen. Kein »Wäre schön, wenn ich dich öfter sehen würde« oder ein »Kann ich verstehen«, nein, er solle sich um seinen »Energiehaushalt« kümmern. Joyce war undurchsichtig und knallhart. Vom ersten Tag an. Und sie war das, was man eine Traumfrau nannte. Ein wunderschönes zierliches Gesicht, lange Haare, eine Figur, die denen internationaler Models in nichts nachstand, eine Frau, nach der sich die Männer umdrehten und anschließend Witze rissen, weil sie nie im Leben mehr als einen Satz mit einer wie ihr wechseln würden.
»Lass uns abhauen, ich hab die Schnauze voll«, sagte Weitz. Tannen nickte.
»Willst du mich anmachen, alter Sack?«
Mangold schreckte zurück. Dabei hatte er die höchstens Siebzehnjährige im Halbdunkel des Hausflurs nur leicht angerempelt.
»Sexuelle Belästigung, dafür geht man in den Knast«, sagte sie.
»Entschuldigung«, erwiderte Mangold und hob die schwarze Tasche mit seinen Unterlagen auf, die er fallen gelassen hatte.
»In Ihrem Alter kleinen Mädchen auflauern …«
»Hör auf mit dem Scheiß, ich bin ein Bulle.«
»Erstens kann das jeder sagen, und …«
Mangold kramte den Dienstausweis aus seiner Jacketttasche und hielt ihn dem Mädchen vor die Nase.
»Und zweitens?«, fragte er.
»Ist das besonders Scheiße, Belästigung durch einen Bullen, igitt.«
Seine Augen hatten sich an das dämmrige Flurlicht gewöhnt. Das Mädchen trug einen Ring im Nasenflügel. Ihre Jacke bestand aus einem rosafarbenen Kunstpelz, der mit seinen Flecken aussah wie eine oft gebrauchte Puderquaste. Ihre langen dunklen Haare hatte sie mit wenigen Scherenschnitten unregelmäßig gekürzt und seitlich einen Zopf stehen lassen. Eine Haarsträhne klebte auf der Stirn.
Sie machte ein paar Schritte rückwärts und versperrte Mangold den Weg.
»Du bist gerade eingezogen?«
Mangold nickte und schloss kurz die Augen.
»Kann ich jetzt durch?«
»Sieht so eine Begrüßung unter Nachbarn aus? Müsst ihr Bullen nicht so etwas wie ein Vorbild sein?«
»Schön, Sie kennen gelernt zu haben«, sagte Mangold. »Kann ich jetzt durch?«
Sie blieb stehen und musterte ihn.
»Ich steh nicht auf kleine Mädchen«, sagte Mangold.
»Verpiss dich«, sagte sie und trat zur Seite.
Als Mangold den ersten Treppenabsatz erreicht hatte, rief sie ihm »Hey Alter, du stinkst« hinterher.
»Schon gut«, sagte Mangold.
»Ich mein das ernst, auch ein Bulle sollte sich mal duschen.«
Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Mangold hoffte, dass sie bei Eltern wohnte, die in der Lage waren, sie im Zaum zu halten. In Gedanken hörte er schon Punkmusik durch das Haus dröhnen, pubertierende und besoffene Typen an seiner Tür klingeln und nach einem Korkenzieher fragen.
Er hatte ja selbst Schuld. Schließlich hatte er ganz gezielt nach einer Wohnung in diesem abgerissenen Viertel gesucht. Ein Viertel, in dem sich seiner Meinung nach niemand groß um den anderen kümmerte. Ihn in Ruhe ließ. Er wollte hier nicht heimisch werden, er wollte seine Ruhe, Abstand gewinnen, sich in seine Höhle verkriechen. Überhaupt keine abendlichen Feste mehr, kein netter Small Talk bei Rotwein in der Küche. Er wollte einen Schnitt. Und wenn Hunde in den Hausflur pissten oder Besoffene auf der Straße grölten, in Ordnung. Nur mit einem durchgeknallten Punk-Teenie nebenan hatte
er nicht gerechnet. Das Gute an diesen Kids war, sie kümmerten sich um ihren eigenen Mist. Meistens jedenfalls.
Mangold zog seinen Mantel aus und warf sich in den Sessel, außer dem Bett das einzige Möbelstück, mit dem er hier eingezogen war. Er war jetzt in einem anderen Leben. Einem Leben ohne Vera. Ausgeschlossen. Und er
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