Bluttaufe: Thriller
musste raus aus diesem Selbstmitleid, es war zum Kotzen. Geradezu lächerlich.
Er zog eine Flasche aus dem Karton. Das war auch neu. Er hatte im Supermarkt eine Kiste mit sechs Flaschen spanischem Cognac gekauft. Sechs Flaschen sollten es sein, mit sechs Flaschen wollte er sich aus diesem Gedankenmüll heraussaufen. Danach musste es gut sein. Selbst Vera würde ihn nicht zum Trinker machen, das Leben schob ihn weiter. Er musste sich auf seine Arbeit konzentrieren, und zwar sofort. Das hieß morgen früh.
Mangold griff in eine der geöffneten Umzugskisten und zog ein Glas heraus. Dann zog er einen anderen Karton zum Sessel und legte die Füße darauf.
Er roch an seinen Achseln. Das Mädchen hatte Recht.
Was war, wenn Klanke richtig lag und der Täter tatsächlich ihn persönlich ansprechen wollte mit diesem Kassenbon? Das Opfer, diese Carla Kanuk, war ihm nie begegnet, daran würde er sich erinnern. Suchte sich ein Mörder seinen Jäger aus? Fantastereien. Andererseits schien es so, als sei dieser Kassenbon wie eine Nachricht deponiert worden. Und dann der Anruf, bei dem ihm ein Zitat aus Dantes Göttlicher Komödie vorgelesen wurde. Das Verirren in einem dunklen Wald. Sein erster Gedanke war gewesen,
dass es Vera sein musste, aber was wollte sie ihm damit sagen? Eine Entschuldigung oder Erklärung?
Mangold zog das Telefon zu sich heran. Aber wie sollte er sich überhaupt bei ihr melden? Geschäftsmäßig knapp? Locker, als wäre nichts passiert? Gestresst oder müde? Mit einem Lachen oder belegter Stimme? Er schob das Telefon wieder von sich. Es wurde Zeit, dass er zur Besinnung kam. Warum hatte nicht er als Erster den Samenfleck entdeckt, sondern Hensen? Schlichen sich Fehler ein? Klar schätzte er ihn, aber er war Journalist und kein ausgebildeter Kriminologe, kein Forensiker. Nein, er, Mangold, war der Polizist, er hatte schließlich die Erfahrung auf dem Buckel.
Mangold leerte das Glas in einem Zug und schenkte sich nach.
Und dann die Theorie um den amerikanischen Serienkiller Ted Bundy. Morgen würde er sich das genauer ansehen, vielleicht gab es tatsächlich weitere Übereinstimmungen.
Rätselhaft blieb, warum der Täter die aufgerissene Kondompackung am Tatort hatte liegen lassen. Und natürlich die Samenflüssigkeit, die von einem Mann stammte, der bereits seit Monaten tot war. Gut, so etwas ließ sich einfrieren und aufbewahren. Einen Bestellservice für derartige Spenden konnte man sogar übers Internet kontaktieren. Doch warum legte der Täter eine Spur, die zu einem längst toten Wachmann führte? Oder hatte er nichts von dessen Tod gewusst? Lag da das Motiv? Ging es um Rache an diesem Wachmann? Sollte ihm ein bestialischer Mord in die Schuhe geschoben werden? Auch in diese Richtung mussten sie ermitteln.
Von einer Inszenierung hatte Hensen gesprochen, zu
der auch die Nachricht auf seiner Mailbox passen würde.
Mangold zog das Telefon wieder zu sich heran und wählte Veras Nummer.
»Ja?«
Ihre Stimme hörte sich verschlafen an.
»Ich bin’s.«
»Weißt du, wie spät es ist? Ist was passiert?«
»Hab ich dich geweckt?«
»Was willst du?«
»Eine kurze Frage«, sagte er.
»Nun mach, ich muss schlafen.«
»Tut mir leid, aber könnte es sein, dass du mir eine Nachricht auf meiner Mailbox hinterlassen hast?«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille, dann ein Schaben und schließlich Veras Gähnen.
»Was für eine Nachricht? Verrat mir mal, warum ich das machen sollte?«
»Du bist sicher?«
»Ja, Herr Hauptkommissar, ich schwöre und erkläre unter Eid, dass ich dir keine Nachricht auf die Mailbox gesprochen habe. War’s das? Worum geht’s denn, um Himmels willen?«
»Nichts, es ist nichts.«
»Hast du dir das jetzt ausgedacht, weil …«
»Es tut mir leid, wenn ich dich geweckt hab. Schlaf gut.«
Mangold legte eilig auf. Er spürte die unangenehme Nässe auf seiner Stirn, ein Rauschen, das ihn einhüllte wie ein Schwarm Insekten. Seine Hände zitterten leicht.
»Scheiß drauf«, sagte er zu den Kartons, die ihn umstanden wie kleine Wachtürme. Er schraubte die Cognacflasche auf, und genau in diesem Augenblick fiel ihm ein, dass etwas bei der Leiche gefehlt hatte, etwas überaus Wichtiges. Vielleicht war genau das der Wegweiser, der ihnen half, einen Pfad zu finden. Einen Pfad aus diesem dunklen Wald, in den sie der Täter geschickt hatte.
Flieg mein Vögelchen, flieg aus der Asche. Flieg über dem Geäst der Bäume, himmelwärts. Niemand wird dich aufhalten,
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