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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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Zuerst produzierte sie Schulungs-Videos für die Telemarketing-Branche. Das lief eine Weile ziemlich gut. Dann gab sie ein Frauenmagazin heraus, das nicht so erfolgreich war. Mal ging es uns finanziell sehr gut, manchmal waren wir auch pleite. Aber nie für lange, denn sie war eine gewiefte Unternehmerin.
    Mit sechzehn schmiss ich die Schule. Ich hatte das Mobbing meiner Mitschüler einfach satt. Meinen Stiefvater Nick strafte ich nur noch mit Verachtung. Ich war stolz darauf, dass ich auf niemanden mehr hörte.
    Ich wurde zum Taugenichts, zum jungen Wilden, der nur noch machte, was er wollte. Ich kam spät oder gar nicht nach Hause, widersetzte mich sämtlichen Regeln meiner Mutter und auch sonst jeder Autorität, egal, von wem sie ausging. Als Teenager hatte ich nur ein Talent: mich in Schwierigkeiten zu bringen. Leider habe ich das bis heute nicht ganz abgelegt.
    Es war nur eine Frage der Zeit, bis Drogen ins Spiel kamen. Zuerst habe ich Klebstoff geschnüffelt. Nur so, um dem grauen Alltag zu entfliehen. Süchtig wurde ich davon nicht, ich wollte es nur ausprobieren. Aber es war der Anfang eines bösen Weges. In meinem jugendlichen Leichtsinn hätte ich das allerdings niemandem geglaubt. Als nächstes habe ich Gras geraucht und Toluol geschnüffelt, ein industrielles Lösungsmittel, wie man es in Nagellackentferner, Klebstoff und Benzin findet. Ich war in eine Spirale geraten, die abwärts führte, und selbst wenn ich gewollt hätte, gab es kein Zurück mehr. Eins führte zum anderen, und alles zusammen war der Versuch, meine unbändige Wut zu betäuben. Denn inzwischen hatte ich erkannt, dass ich durch das unstete Leben, die ständige Abwesenheit meiner Mutter und die zahlreichen Kindermädchen einige wichtige Erfahrungen und Chancen verpasst hatte.
    Zeig mir einen Siebenjährigen und ich zeige dir den Mann, der später aus ihm wird, sagt ein englisches Sprichwort. Ich glaube nicht, dass man mir mit sieben schon meine Zukunft angesehen hat. Mit siebzehn allerdings schon: Ich war auf dem besten Weg in die Selbstzerstörung.
    Meine Mutter hat alles versucht, mich von den Drogen fernzuhalten. Sie sah, was das Zeug mit mir machte, und sie hatte Angst vor den langfristigen Folgen einer Abhängigkeit; schließlich hatte ich mich bereits verändert. Sie tat alles, was Mütter so tun. Sie durchsuchte meine Taschen, um mir das Zeug wegzunehmen, und sie versuchte, mich in mein Zimmer einzusperren. Aber die Türschlösser in unserem Haus hatten Drehknöpfe, und ich hatte schnell heraus, dass sie mit Hilfe einer Sicherheitsnadel ganz leicht zu knacken waren. Der Knopf sprang einfach heraus, und ich war frei. Meine Mutter hatte keine Macht mehr über mich. Weder sie noch sonst jemand konnte mir Vorschriften machen. Wir haben uns nur noch gestritten. Unser seit geraumer Zeit schlechtes Verhältnis wurde jetzt unerträglich.
    Irgendwann hat sie mich zum Psychiater geschleift. Der hat sich dann so richtig an mir ausgetobt. Die Diagnose reichte von Schizophrenie über manisch-depressiv bis hin zu ADHS : Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom.
    Für mich war nur der Psychiater verrückt, genau wie seine Einschätzung meiner Person. Totaler Schwachsinn! Ich war doch nur ein verwirrter Teenager. Und natürlich war ich überzeugt davon, alles besser zu wissen. Heute verstehe ich die Angst meiner Mutter. Sie fühlte sich hilflos und machtlos, und sie bangte um meine Zukunft. Aber für die Gefühle anderer Menschen war ich damals blind. Mir war alles egal, und niemand kam an mich heran.
    Das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir war so belastet, dass ich vorübergehend in eine christliche Wohngemeinschaft für Jugendliche zog. Auch dort konnte mich keiner dazu bewegen, etwas Sinnvolles zu tun. Herumlungern, mich mit Drogen zudröhnen und Gitarre spielen: das war mein Leben. Wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
    Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag beschloss ich, nach London zurückzukehren. Ich wollte bei meiner Halbschwester wohnen, der Tochter meines Vaters aus einer anderen Ehe. Von da an ging es nur noch abwärts.
    Wobei sich meine Abreise durchaus wie der Start ins wahre Leben anfühlte, in die Welt der Erwachsenen. Diese erwartungsvolle Anspannung kennt bestimmt jeder Teenager, der endlich von zu Hause ausziehen darf. Meine Mutter brachte mich mit dem Auto zum Flughafen. Als sie an einer roten Ampel in der Nähe meines Abflug-Terminals hielt, gab ich ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, sprang

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