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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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spannend, zu hören, warum jemand durch das gesellschaftliche Raster gefallen ist? Ist es die unterschwellige Angst vor der Tatsache, dass ein solcher Absturz jeden treffen kann? Ich glaube, solche Lebensgeschichten machen den Zuhörer zufriedener mit seiner eigenen Situation. Sie können dann aufatmen und sich mit dem Gedanken trösten: »Ich dachte immer, mir geht es schlecht, aber jetzt weiß ich, es könnte schlimmer sein – zum Beispiel, wenn ich so ein armer Penner wäre.«
    Wen man auch fragt, warum er oder sie in die Obdachlosigkeit abgerutscht ist, man wird immer sehr persönliche Berichte hören. Aber es gibt immer Parallelen. In den meisten Fällen spielen Alkohol und Drogen eine große Rolle. Oft begann der Weg auf die Straße auch weit in der Kindheit und in der Familie.
    Wie bei mir.
    Meine Kindheit war sehr unbeständig, denn sie fand auf zwei Kontinenten statt. Mal lebten wir in England, mal in Australien. Aber auch im jeweiligen Land blieben wir nie lange an einem Ort. Wir sind ständig umgezogen. Geboren wurde ich in Surrey im Süden von England. Als ich drei Jahre alt war, zog ich mit meiner Mutter nach Melbourne in Australien. Meine Eltern waren zu dieser Zeit bereits geschieden. Mein Vater blieb in Surrey, meine Mutter hatte aus Existenzangst einen Job als Vertreterin für Rank-Xerox-Kopierer in Melbourne angenommen. Sie war richtig gut in ihrem Job und gehörte bald zu den Top-Verkäufern der Firma.
    Trotzdem blieb sie rastlos. Bereits nach zwei Jahren zogen wir von Melbourne nach Westaustralien. Dort blieben wir drei oder vier Jahre. Finanziell ging es uns immer gut in Australien. Wir wohnten immer in großen Bungalows. Alle hatten einen Garten mit viel Platz zum Spielen und vielen Sportmöglichkeiten für einen Jungen meines Alters. Im Umland gab es viel zu entdecken, und ich liebte die wilde Landschaft Australiens. Nur Freunde hatte ich keine.
    Weil wir so oft umzogen, fiel es mir extrem schwer, mich in die ständig neuen Klassengemeinschaften einzufügen. Noch bevor ich in Australien heimisch werden konnte, zogen wir zurück nach Sussex, in einen Ort in der Nähe von Horsham. Damals war ich neun. Ich war froh, wieder in England zu sein, und habe mich dort wirklich wohlgefühlt, das weiß ich noch genau. Mit zwölf hatte ich mich gut eingelebt, aber gerade da zogen wir wieder zurück nach Westaustralien.
    Wir blieben in einem Nest namens Quinn’s Rock hängen. Und dort fingen meine Probleme an.
    Wegen der vielen Jobs meiner Mutter blieben wir nie länger als zwei Jahre an einem Ort. Ständig kaufte und verkaufte sie Häuser, ständig zogen wir um. Ein beständiges Zuhause kannte ich nicht, und ich konnte nie einen Heimatort benennen. Wir führten ein sehr unstetes Leben.
    Ich bin kein Psychiater, aber ich war im Laufe der Jahre bei vielen in Behandlung. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass sich die ständigen Ortswechsel negativ auf meine Entwicklung ausgewirkt haben. Es war mir schlicht unmöglich, soziale Kontakte zu knüpfen. Nicht einmal durch die Schule fand ich Freunde. Versucht habe ich es durchaus, aber ich war wohl zu bemüht. Erreicht habe ich leider das Gegenteil. Ich wurde an sämtlichen Schulen gemobbt. Und in Quinn’s Rock waren die Kinder besonders grausam.
    Durch meinen britischen Akzent und meinen Wunsch, es allen recht zu machen, war ich der Dorfjugend ein Dorn im Auge. Und ich war leichte Beute. Eines Tages hatten meine Mitschüler beschlossen, mich zu steinigen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Name der Stadt kam nicht von ungefähr: Überall lagen Kalksteinbrocken herum. An diesem Tag wurden sie für mich zu schmerzhaften Geschossen. Blind vor Wut und in Todesangst lief ich durch ein Spalier von kreischenden Mitschülern, die mich mit Steinen bombardierten. Danach durfte ich wegen einer schweren Gehirnerschütterung ein paar Tage zu Hause bleiben. Der seelische Schaden hat niemanden interessiert.
    Das Mobbing in der Schule war aber nicht mein einziges Problem. Zu Hause gab es inzwischen einen Stiefvater, den ich nicht ausstehen konnte. Er hieß Nick und war in meinen Augen ein Weichei. Ich nannte ihn nur »Nick, the Prick«, was ziemlich unter der Gürtellinie war. Meine Mutter hatte ihn in Horsham kennengelernt, als sie eine Weile bei der Polizei gearbeitet hatte. Zu meinem Leidwesen war er mit nach Australien gekommen.
    Unser Nomadenleben konnte auch er nicht verhindern. Es lag an den ständig neuen Geschäftsideen meiner Mutter, die meist sogar erfolgreich waren.

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