Bob, der Streuner
auf. Nach etwa zehn Tagen war seine Beinverletzung so gut wie verheilt, sein stumpfes, sprödes Fell war dichter und samtweich geworden. Er selbst wirkte rundum glücklicher. Seine Augen strahlten keck in diesem satten Gelbgrün, wie ich es noch nie bei einer Katze gesehen hatte.
Er war so gut wie gesund, und der beste Beweis dafür waren seine wilden Spielattacken. Zwar hatte er seine verrückten fünf Minuten von Anfang an mehrmals täglich ausgelebt, aber in den letzten beiden Tagen war er nur noch wild und übermütig. Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Es gab Momente, da sprang und rannte er durch die Wohnung wie ein Irrer. Dabei hieb er seine ausgefahrenen Krallen in alles, was ihm unterkam. Auch ich wurde nicht verschont.
Meine Second-Hand-Möbel hatten allesamt schon unter seinem Übermut gelitten. Überall Kratzspuren; meine Hände und Arme sahen ähnlich mitgenommen aus. Aber ich nahm es ihm nicht übel, denn für ihn war alles nur ein Spiel ohne böse Absicht.
Bevorzugtes Opfer seiner Überfälle war die Küche. Er attackierte die Schranktüren wie ein Berserker, angetrieben von der Gier nach verbotenen Leckerbissen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ein paar billige Kindersicherungen aus Plastik zu kaufen, um seine Einbrüche zu unterbinden.
Sein Spieltrieb war unersättlich. Ich durfte nichts herumliegen lassen, das ihm auch nur im Entferntesten zur Unterhaltung dienen konnte. Schuhe, Kleidung – alles war innerhalb von Sekunden zerkratzt oder gar zerfetzt.
Natürlich wusste ich, was mit ihm los war. Ich durfte die Anzeichen nicht länger ignorieren: junger Kater mit überschäumendem Testosteronspiegel. Der kleine Schnitt war überfällig. Zwei Tage vor Beendigung seiner Tablettenkur rief ich die Abbey-Tierklinik in der Dalston Lane an, um einen Termin für ihn zu vereinbaren.
Die Vor- und Nachteile dieses Eingriffes waren mir bekannt. Es tat mir wirklich leid für Bob, aber aus meiner Sicht der Dinge überwogen eindeutig die Vorteile. Dürfte er seine Männlichkeit behalten, würde er von seinen Hormonen gesteuert und wie von Sinnen weite Strecken zurücklegen, nur um empfängnisbereite Weibchen zu suchen. Er würde für Tage oder gar Wochen verschwinden. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Ausnahmezustand überfahren zu werden oder sich blutrünstige Kämpfe mit anderen Katern zu liefern, war hoch. Die Verletzung, die wir gerade auskurierten, war möglicherweise auch aus einem solchen Paarungsdrang entstanden. Männliche Streuner verteidigen ihr Revier bis auf die letzte Kralle. Sie markieren ihr Gebiet mit einem für uns übel riechenden Sekret, das Fremdkatzen vertreiben soll. Bob könnte in seinem jugendlichen Leichtsinn ein solches Revier betreten und dafür Prügel bezogen haben. Vielleicht war ich übervorsichtig, aber Bob konnte sich auf einer dieser ausgedehnten Streunertouren auch ansteckende Krankheiten wie Fe LV , die Katzenleukose, oder FIV , das Katzen- HIV holen. Ein letzter, aber nicht unwichtiger Punkt, falls Bob bei mir bleiben sollte: Er wäre ein ruhigeres, viel ausgeglicheneres Haustier. Seine Anfälle von Katzen-Irrsinn würden verschwinden und mich und meine Möbel schonen.
Es gab nur einen Punkt, der gegen die Kastration sprach: Es war ganz einfach eine unangenehme Operation.
Kein Grund, länger darüber nachzudenken.
Ich rief die Tierklinik an und sprach mit einer netten Mitarbeiterin. Nachdem ich ihr meine finanzielle Lage erklärt hatte, wollte ich wissen, ob wir dort auch das kostenfreie Kastrationsprogramm in Anspruch nehmen konnten. »Solange er einen Impfpass von einem Tierarzt vorweisen kann, können wir das jederzeit machen«, bestätigte sie mir. Den Impfpass hatte ich bei unserem letzten Besuch in der RSPCA -Ambulanz bekommen.
Jetzt machte ich mir nur noch Sorgen wegen der Medikamente, die er noch einnahm. Aber auch die Antibiotika waren kein Problem. Sie gab uns einen Termin für den übernächsten Tag. »Am besten bringen Sie ihn gleich morgens vorbei. Wenn alles gut geht, können Sie ihn abends wieder abholen«, erklärte sie mir noch.
Am Operationstag stand ich früh auf, weil ich Bob bis spätestens zehn Uhr abliefern sollte. Zum ersten Mal seit unserem Besuch in der Höllenpraxis am Finsbury Park musste ich mit dem Kater eine längere Strecke zurücklegen. Seit damals waren nur die kurzen Gassi-Gänge vor dem Haus erlaubt gewesen, um die Heilung seiner Bisswunde nicht zu gefährden.
Ich verfrachtete ihn also, wie bei unserem letzten
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