Bob, der Streuner
was er zwischen die Pfoten bekam. Einmal konnte ich zusehen, wie er sich über eine Stunde lang mit einem Flaschendeckel amüsierte. Er scheuchte ihn durch alle Räume, warf ihn hoch, fing ihn auf dem Rücken liegend wieder auf, fegte ihn unter den Teppich und buddelte ihn mit viel theatralischem Getue wieder hervor. Ein anderes Mal belauerte er eine Hummel, die sich in unsere Wohnung verirrt hatte. Mit einem kaputten Flügel krabbelte sie auf dem Wohnzimmertisch herum. Manchmal fiel sie auf den Rücken und surrte laut bei ihren verzweifelten Versuchen, sich wieder umzudrehen. Dabei fiel sie manchmal vom Tisch auf den Teppich. Immer wenn das passierte, hob Bob die Hummel ganz vorsichtig mit seinem Mäulchen wieder auf und legte sie zurück auf den Couchtisch. Es war wirklich beeindruckend, wie feinfühlig er es fertigbrachte, einen Flügel der Hummel zwischen seine Zähne zu nehmen. Er wollte sie unversehrt auf die Glasfläche zurücklegen, nur um sie hoch konzentriert weiter zu beobachten. Es war einfach zu komisch. Er wollte ihr nichts tun, er wollte einfach nur spielen.
Auch beim Fressen konnte er seine Straßenmanieren, den dort aufgeschnappten Futterneid, nicht verleugnen. Nach jedem Besuch seines Freiluftklos machte er einen Abstecher zu den Müllcontainern hinter dem Haus. Leider waren die großen Müllkippen auf Rädern immer wieder offen. Manchmal lagen die schwarzen Plastiksäcke sogar neben den Containern. Diese wurden dann von streunenden Hunden oder Füchsen aufgerissen. Wie unter einem inneren Zwang trieb es Bob immer wieder dorthin. Es könnten ja Essensreste herumliegen, die man trotz Gourmet-Katzendinner nicht verkommen lassen durfte. Einmal erwischte ich ihn dabei, wie er einen Hühnerschenkel davonzerrte, den die vierbeinigen Straßenräuber übersehen hatten. Es ist eben schwer, alte Gewohnheiten abzulegen , dachte ich nachsichtig. Wer konnte das besser verstehen als ich!
Obwohl er von mir zu festen Zeiten gefüttert wurde, konnte er nicht aufhören zu schlingen. Sobald ich ihm die Schüssel hinstellte, verschwand sein Gesicht tief in seinem Napf, und er fraß, als wäre es seine letzte Mahlzeit für lange Zeit.
»Langsam, Bob, genieß dein Futter«, beschwor ich ihn jedes Mal mit ruhiger Stimme, aber es war sinnlos. Wahrscheinlich hatte er sich früher jede Mahlzeit schwer erkämpfen müssen und nie gewusst, wann und wo er die nächste finden würde. Er hatte noch nicht begriffen, dass ihm bei mir zwei Mahlzeiten täglich sicher waren. Auch dieses Gefühl konnte ich nachvollziehen. Schließlich habe ich selbst lange auf der Straße gelebt. Ich kannte diese Angst.
Bob und ich hatten sehr viel gemeinsam. Deshalb war unsere Bindung von Anfang an so innig – und sie wurde immer stärker.
Das Einzige, was mich wirklich an Bob störte, waren die Haare, die er überall in der Wohnung verlor. Das war ganz normal, denn wir hatten inzwischen Frühling und er verlor sein Winterfell. Leider büschelweise. Und weil er diesen Fellwechsel beschleunigen wollte, rieb er sich an allem, was ihm zu Hause Widerstand bot. Trotz täglichem Staubsaugen waren die Katzenhaare ständig überall. Auf meiner Kleidung, auf der Bettwäsche, der Couch, an Schränken, Tisch- und Stuhlbeinen und natürlich auf dem Teppich. Es machte mich wahnsinnig.
Dabei war es ein gutes Zeichen. Sein Fell war nachgewachsen, und auch körperlich ging es ihm gut. Er war immer noch sehr schlank, aber man spürte keine Rippen mehr, wenn man ihn streichelte. Sein Fell war von Natur aus dünn, wahrscheinlich, weil ihm als Jungtier auf der Straße wichtige Nährstoffe gefehlt hatten. Aber es gab keine kahlen Stellen mehr, und durch das Antibiotikum war seine Beinverletzung so gut verheilt, dass neues Fell darüber gewachsen war. Er strotzte vor Gesundheit, und nichts erinnerte mehr an das Häufchen Elend, dass ich mal gefunden hatte.
Er brauchte auch kein Bad, um sauber zu bleiben. Die sprichwörtliche Katzenwäsche ist absolut ausreichend, und Bob war ein Meister in dieser akrobatischen Disziplin. Ich sah ihm gerne zu bei diesem Ritual. Es hatte so etwas Friedliches, wenn er sich die Pfoten leckte, um sich dann damit das Gesicht zu waschen. Für die Ganzkörperwäsche nahm er sich alle Zeit der Welt, als gäbe es nichts Wichtigeres.
Ich fand die Katzenwäsche deshalb so faszinierend, weil es zeigte, wie stark die Hauskatze immer noch mit ihren wilden Vorfahren verbunden ist. Bobs Ahnen lebten in tropischem Klima, aber sie konnten nicht
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