Bobbie Faye: Alles wird gut (German Edition)
einem Wrack wurde.
Er hatte tatsächlich Schiffbruch erlitten. So hätte es nicht laufen sollen. Er hatte mit angesehen, wie alles schiefgegangen war, und nichts dagegen unternehmen können: Bobbie Fayes Auftauchen, die Männer, die sie gejagt hatten, ihr Verlobter, der an einem der Pokertische gesessen hatte. Irgendwo hatte er einen taktischen Fehler begangen.
Er vergrub die Hände in den Hosentaschen. Er musste sie beschäftigen, damit er nicht daran dachte, wie fettig seine Fingerspitzen waren. Er ertastete einige Pokerchips und konnte sich nicht mehr erinnern, sie in all dem Chaos eingesteckt zu haben.
Hatte er sonst noch etwas vergessen? Ein kleines Detail übersehen? War ihm etwas Offensichtliches entgangen?
Bei dem Schlamassel, den er angerichtet hatte, all den Menschen, die verletzt worden waren, hätte Chloë der Schlag getroffen. Ihr ganzes Leben lang war ihr Mantra, das Leitmotiv in ihrem Leben, immer die Sicherheit und der Schutz der Öffentlichkeit gewesen. Der Dienst am Volk. Dafür stand sie, dafür lebte sie.
Sie hatte bloß nicht gewusst, dass sie dafür auch ihr Leben opfern würde.
Wie Säure stieg diese Tatsache wieder in ihm hoch, verätzte seine Kehle, zerfraß ihn von innen, genau wie die Trauer, die seine Seele verschlang. Er wusste, er war nicht mehr der Mann von früher. Alles änderte sich an diesem klaren, kühlen Herbstmorgen, als man ihn über den Autounfall informierte, bei dem eine Person ums Leben gekommen war.
Das Leid und der Schmerz über ihren Verlust stürmten wieder auf ihn ein, während er herumstand und den Technikern, Jachthafenbesitzern und Polizisten zusah, wie sie die Köpfe zusammensteckten und beratschlagten, was zu tun wäre, um den weißen Riesen von einem Kasino, der im Wasser dümpelte, zu bergen. Es würde nie mehr dasselbe sein. So viel konnte er ihnen sagen. Es würde nie mehr dasselbe sein, egal, wie viel Geld sie hineinbutterten, egal, wie sehr sie die Götter anflehten, egal, welche Entscheidung ein Richter am Ende treffen würde, es würde niemals wieder dasselbe sein.
Die Menschen würden vergessen, ihr Leben würden weitergehen. In elf Jahren würde der Tag, an dem das Kasinoboot unterging, nur noch eine undeutliche Erinnerung sein. Jemand würde es erwähnen, und sein Gegenüber würde mit abwesendem Blick in sich hineinhorchen, als durchsuchte er die Masse von täglichen Eindrücken, die Erinnerungen an Fernsehshows, die Anweisungen des Chefs zwei Wochen zuvor und den Skandal mit der höschenlosen Berühmtheit, der durch die Presse gegangen war. Irgendwann würde er schließlich ein verwaschenes Bild dieses Ereignisses finden und kurz nicken, und dann, ja dann würden sie es hinter sich lassen.
Genau das geschah nun auch mit dem Andenken an Chloë – die Menschen ließen es hinter sich.
Wenn das hier zu Ende war, dann konnten sie es nicht mehr einfach hinter sich lassen. Sie würden aufmerksam werden, sich erinnern müssen. Es würde einen Skandal verursachen und furchtbares Leid, und neue Gesetze würden verabschiedet werden, und er würde neue Maßstäbe setzen, wie viel Schaden ein Mann anrichten konnte, aber, bei Gott, er würde ihre Aufmerksamkeit haben.
Also zwang er sich, stehen zu bleiben und seine Befürchtungen zu ignorieren, dass noch andere Kräfte in diesem Spiel mitmischten. Solange er sein Ziel erreichte, war es ihm egal, welche Interessen andere Parteien womöglich verfolgten. Er war sowieso schon jenseits von allem.
»Dieses verdammt dumme Gör!«, keifte Etienne und polterte zum zweiten Mal in zwei Tagen aus dem Wohnmobil, und V’rai, Lizzie und Aimee erstarrten. V’rai wusste nicht zu sagen, ob ihr Bruder nur mal wieder Dampf ablassen wollte. Auf dem Fernseher erschien das Standbild von dem versunkenen Kasinoschiff nun neben dem des explodierten Wohnhauses.
»Er sollte wirklich mit ihr reden«, sagte Aimee wieder.
»Noch nicht, chère «, beschwichtigte sie V’rai. »Wenn er jetzt zu ihr geht, überlebt sie das nicht. Das weiß ich.«
»Du hast aber nicht immer recht«, bemerkte Lizzie. »Manchmal irrst du dich auch.«
»Mag sein, in letzter Zeit aber nicht«, stellte V’rai klar. »Die Visionen … sie sind eindrücklicher geworden. Wegen unserem Mädchen, sie … « V’rai suchte nach den richtigen Worten und verstummte. »Verstärkt sie?«, schlug Aimee vor, und V’rai nickte.
Genau so war es. Sie verstärkte sie. Seit dem Tag, als Bobbie Faye wieder in ihr Leben getreten war, waren die Visionen eindrücklicher
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