Bockmist
hinauswill.« Die Sonne schiebt sich millimeterweise höher, stellt sich auf Zehenspitzen, um uns besser sehen zu können. »Ich will auf die sechsundzwanzig anderen hinaus, die direkt vom Erfolg des Graduierten profitieren werden, und die Hunderte, vielleicht Tausende, die indirekt profitieren. Menschen, die geschuftet, geklüngelt, geschmiert, gedroht und sogar gemordet haben, um soweit zu kommen. Auch sie alle haben Stimmen. Barnes unterhält sich wahrscheinlich gerade mit ihnen, will ein Ja oder Nein von ihnen hören, und wissen Sie vielleicht, wie die Umfrage ausgeht?«
Murdah ist plötzlich verstummt. Er hat die Augen aufgerissen, und sein Mund steht sperrangelweit offen, als hätte er gerade etwas Scheußliches gekostet.
»Sechsundzwanzig«, sagt er kaum vernehmlich. »Woher wissen Sie, daß es sechsundzwanzig sind? Woher wissen Sie das?«
Ich gebe mich bescheiden.
»Ich war mal Wirtschaftsjournalist«, sage ich. »Ungefähr eine Stunde lang. Ein Mann bei Smeets Velde Kerplein hat Ihr Geld für mich verfolgt. Seine Entdeckungen waren sehr aufschlußreich.«
Er senkt den Blick, muß sich konzentrieren. Sein Verstand hat ihm diese Suppe eingebrockt, sein Verstand soll sie gefälligst auch auslöffeln.
»Vielleicht behalten Sie ja recht«, sage ich und bringe ihn auf den richtigen Weg zurück. »Vielleicht stellen sich die sechsundzwanzig hinter Sie, blasen die Sache ab und schreiben ihr Geld in den Wind, was weiß denn ich. Meine Hand würd’ ich allerdings nicht dafür ins Feuer legen.«
Ich mache eine Pause, weil ich finde, daß ich in verschiedener Hinsicht eine verdient habe.
»Ihre dafür um so lieber«, sage ich.
Das rüttelt ihn aus seiner Benommenheit auf.
»Sie sind verrückt«, schreit er. »Wissen Sie das? Wissen Sie, daß Sie verrückt sind?«
»Nur zu«, sage ich. »Rufen Sie sie an. Rufen Sie Barnes an und sagen Sie ihm, er soll die Sache abblasen. Sie stehen mit einem Wahnsinnigen auf dem Dach, und die Fete wird abgeblasen. Nutzen Sie Ihr Stimmrecht.«
Er schüttelt den Kopf.
»Sie werden nicht kommen«, sagt er. Und dann, sehr viel leiser: »Sie werden nicht kommen, weil ich hier bin.«
Ich zucke mit den Schultern, weil mir nichts Besseres einfällt. Mir ist im Moment einfach nach Schulterzucken. Vor Fallschirmsprüngen hab’ ich mich auch immer so gefühlt.
»Sagen Sie mir, was Sie wollen«, brüllt Murdah plötzlich, zerrt an den Handschellen und bringt die eiserne Feuertreppe zum Dröhnen. Als ich wieder zu ihm rübersehe, hat er frisches helles Blut an den Handgelenken.
Armes Würstchen.
»Ich will zusehen, wie die Sonne aufgeht«, sage ich.
Francisco, Cyrus, Latifa, Bernhard und ein blutverkrusteter Benjamin haben sich bei uns auf dem Dach eingefunden, weil dort im Moment die interessanteren Leute anzutreffen sind. Sie sind in unterschiedlichem Ausmaß verängstigt und verwirrt, verstehen nicht, was hier eigentlich gespielt wird; sie haben ihre Stelle im Drehbuch verloren und hoffen inständig, daß ihnen endlich jemand die richtige Seitenzahl zuruft.
Die Bemerkung ist wohl überflüssig, daß Benjamin sein Bestes getan hat, um die anderen gegen mich aufzuhetzen. Aber sein Bestes reichte nicht mehr, als sie sahen, daß ich Murdah einen Revolver an den Hals hielt und ins Konsulat zurückkam. Das fanden sie merkwürdig. Eigenartig. Es paßte nicht zu Benjamins wilden Verratstheorien.
Und jetzt stehen sie vor mir und schauen abwechselnd Murdah und mich an; sie wollen rausfinden, woher der Wind weht, und Benjamin zittert vor Anstrengung, mich nicht über den Haufen zu knallen.
»Was zum Teufel ist hier eigentlich los, Ricky?«, fragt Francisco.
Ich erhebe mich langsam, spüre etwas in den Knien knacken, und trete einen Schritt zurück, um das Ergebnis meiner Mühen zu bewundern.
Dann wende ich mich halb von ihnen ab und deute auf Murdah. Ich habe diese Ansprache so oft geprobt, daß ich sie fast auswendig kann.
»Dieser Mann ist ein ehemaliger Waffenhändler«, erkläre ich ihnen. Ich gehe ein paar Schritte auf die Feuertreppe zu, damit auch alle mitkriegen, was ich zu sagen habe. »Er heißt Naimh Murdah, ist Generaldirektor von sieben verschiedenen Firmen und Mehrheitsaktionär bei weiteren einundvierzig. Er besitzt Häuser in London, New York, Kalifornien, Südfrankreich, Westschottland und jedem beliebigen Norden, Swimmingpool inklusive. Sein Gesamtvermögen beträgt knapp über eine Milliarde Dollar.« Ich drehe mich zu Murdah: »Das muß ein aufregender
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