Bockmist
erläutern, warum, falls ich Lust bekommen sollte, mit ihm zu streiten.
Alles habe mit meinen militärischen Vorkenntnissen angefangen, sagt er.
Tatsächlich, Benj?
Ja, tatsächlich.
Benjamin hatte nachts wachgelegen, sein Zeltdach angestarrt und sich gefragt, wie und wo ein zurückgebliebener Minnesoter gelernt haben wollte, ein Mié mit verbundenen Augen doppelt so schnell zu demontieren wie jeder andere.
Als nächstes hatte er sich über meinen Akzent und meinen Klamotten-und Musikgeschmack gewundert. Und warum verfuhr ich mit dem Landrover so viele Kilometer, wenn ich bloß Bier holte?
Das alles sind natürlich Lappalien, und bis jetzt hätte Ricky sie ohne weiteres unter den Tisch fallen lassen können.
Aber der andere Teil des Problems – im Moment, zugegeben, der gravierendere Teil – ist, daß sich Benjamin während meines Gesprächs mit Barnes in die Verbindung eingeklinkt hat.
Einundvierzig Minuten.
»Und wie soll’s jetzt weitergehen, Benj?«, frage ich.
Er preßt die Wange fester an den Schaft, und ich glaube zu sehen, daß sein Knöchel am Abzug weiß wird.
»Willst du mich erschießen?«, frage ich. »Jetzt? Den Abzug da ziehen?«
Er leckt sich die Lippen. Er weiß, woran ich denke.
Er zuckt etwas, löst das Gesicht von der Steyr, läßt mich aber nicht aus seinen riesigen Augen.
»Latifa«, ruft er über die Schulter. Laut. Aber nicht laut genug. Mit seiner Stimme scheint etwas nicht in Ordnung zu sein.
»Schüsse hören sie draußen, Benj«, sage ich. »Sie werden glauben, du hättest eine Geisel erschossen. Sie werden das Gebäude stürmen. Und uns alle erschießen.«
Bei dem Wort »erschießen« steht er kurz davor abzudrücken.
»Latifa«, ruft er wieder. Diesmal lauter, und damit muß Schluß sein. Ich darf ihn kein drittes Mal rufen lassen. In Zeitlupe gleite ich auf ihn zu. Meine linke Hand ist die lockerste Hand aller Zeiten.
»Da draußen lauern Unmengen von Burschen, Benj«, sage ich und schiebe mich weiter vor, »die sich im Moment nichts Schöneres vorstellen können als einen Schuß. Gönnst du ihnen das etwa?«
Er leckt sich wieder die Lippen. Einmal. Zweimal. Dreht den Kopf zur Treppe.
Mit der linken Hand packe ich den Lauf und stoße ihm die Waffe in die Schulter. Ich habe keine andere Wahl. Wenn ich ihm die MP wegziehe, drückt er ab und mir aufs Gemüt. Also stoße ich sie zurück und zur Seite, und als sich Benjamins Gesicht vom Schaft löst, treibe ich ihm den rechten Handballen mit aller Kraft unter die Nase.
Er sackt weg wie ein Stein – schneller als jeder Stein, als würde ihn eine ungeheure Kraft zu Boden zwingen –, und im ersten Moment habe ich Angst, daß ich ihn umgebracht habe. Aber dann schlägt sein Kopf hin und her, und ich sehe, wie ihm das Blut aus der Nase rinnt.
Ich entwinde ihm die Steyr und lege die Sicherheitsrast um, als Latifa vom Fuß der Treppe heraufruft.
»Was ist denn?«
Ich höre ihre Schritte auf den Stufen. Nicht schnell, aber auch nicht langsam.
Ich sehe auf Benjamin hinab.
Das ist Demokratie, Benj. Ein Mann gegen alle.
Latifa umrundet das letzte Stück der Treppe, die Uzi baumelt an ihrer Schulter.
»Ach du Scheiße«, sagt sie, nachdem sie das Blut sieht. »Was ist denn hier passiert?«
»Keine Ahnung«, sage ich, ohne sie anzusehen. Ich beuge mich über Benjamin und sehe ihm erschrocken ins Gesicht. »Er muß gestürzt sein.«
Latifa schiebt sich an mir vorbei und hockt sich neben Benjamin, und dabei sehe ich auf die Uhr.
Neununddreißig Minuten.
Sie dreht sich um und sieht zu mir hoch.
»Ich mach’ das schon«, sagt sie. »Übernimm du das Foyer, Rick.«
Nichts lieber als das.
Ich übernehme das Foyer, den Haupteingang, die Treppe und die 167 Meter von der Treppe zum Polizeikordon.
Als ich dort ankomme, habe ich einen heißen Kopf, weil ich meine Hände darauf verschränkt habe.
Es überraschte mich nicht gerade, daß sie mich filzten, als machten sie ein Filz-Examen. Für die Staatliche Akademie des Filzens. Fünfmal, von Kopf bis Fuß, Mund, Ohren, Schritt, Schuhsohlen. Sie rissen mir einen Großteil der Kleidung vom Leib, und am Ende stand ich da wie ein ausgepacktes Weihnachtsgeschenk.
Sie brauchten sechzehn Minuten.
Fünf weitere mußte ich mit gespreizten Armen und Beinen an einem Mannschaftswagen lehnen, während sie schrien und durcheinanderwimmelten. Ich blickte zu Boden. Sarah wartet auf mich.
Herrgott, hoffentlich.
Noch eine Minute verging mit Schreien und Wimmeln, ich sah mich um und
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