Bodenrausch
Investitionen in die Äcker der Welt an. Jede Dürre, jede Springflut, jede Kältewelle zur Unzeit, jede Regenfront in der Ernte schlägt durch bis auf die Kurse an den Weltgetreidebörsen. Das Weltklima verspricht auf lange Sicht steigende Preise und wachsende Renditen aus Bodenbesitz. Die Biospritpläne in den USA und in Europa locken immer mehr Kapital auf die Äcker, die Knappheit auf den Energiemärkten verspricht auch hier goldene Zeiten. Hinzu kommt der Handel mit Klimazertifikaten, der das Interesse des Anlagekapitals an Boden weiter entfacht. Und schließlich beflügelt der Fleischhunger Chinas und anderer Schwellenländer das Investment in die schnell wachsende Mast- und Futterindustrie.
GLOBALER PARADIGMENWECHSEL
Konkrete Zahlen darüber, wie viel Kapital der Bodenrausch seit 2007 mobilisiert hat, gibt es nicht. Das Geschäft mit dem Boden unterliegt der Verschwiegenheit. Aber so viel lässt sich bereits sagen, es löst einen flächendeckenden Paradigmenwechsel aus. Längst geht es nicht mehr um die Existenz von Bauern, sondern um die Agrarindustrie. Deren Protagonisten bewegt nicht mehr der Gedanke an eine nachhaltige Bewirtschaftung, das Selbstverständnis, Lebensmittel für die Ernährung der Welt anzubauen und das Land für kommende Generationen zu erhalten, sondern die Frage, wie und wo sich die höchste Kapitalrendite erzielen lässt. Der Zins bestimmt, was in Zukunft auf den Äckern der Welt angebaut wird.
Und das ist das Neue in der Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts. Sie ist auf dem Weg, ein Teil der Verwertungskette des globalen Finanzkapitals zu werden. Das Kapital entwickelt sich zur treibenden Kraft auf den Äckern der Welt. Was das bedeutet, spiegeln die Umsätze der Getreidebörse in Chicago. Sie liegen bei den sogenannten Futures bei einem Vielfachen des Wertes der US-Ernte und zeigen, dass es hier nicht mehr darum geht, Ernten abzusichern, wie in früheren Zeiten, in denen die kommende Ernte schon während der Aussaat über Futures verkauft wurde, um Bauern wie Händler ihren zukünftigen Preis zu garantieren.
Betrug das Handelsvolumen mit Futures bei Weizen im Jahr 2002 noch das Elffache der US-Weizenernte, so stieg es bis 2007 schon auf das 30-Fache an. Die Getreidebörse ist längst Teil des globalen Finanzkasinos geworden. Es geht nicht mehr um Sicherheit, sondern um Gewinn, der am Ende von der Weltbevölkerung über höhere Preise bezahlt werden muss.
Inwieweit die Spekulation die Nahrungsmittelpreise explodieren lässt, ist umstritten. Klar ist jedoch, dass die Geldmengen, die mittlerweile an der Getreidebörse angelegt werden, vor allem von einem getrieben werden: von der Aussicht auf explodierende Preise.
Ernten und Futureshandel in den USA, 2009 1
Genau wie beim Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008 zeigt sich hier, dass es keine Regeln gibt, die den Geldfluss bremsen oder kanalisieren könnten. Und genau wie auf den Finanzmärkten sehen wir, wie die Politik sich darum drückt, Grenzen zu setzen und Schranken aufzubauen. Das spiegelt sich auch in den Ländern wider, über die der globale Bodenrausch gerade hereinbricht. Dort fließen die Investitionen nicht in den Sektor, in dem sie dringend nötig wären, also in die bäuerliche Landwirtschaft – das Genossenschaftswesen, die landwirtschaftliche Forschung, in Schulen, Universitäten und die Beratung von Bauern und besonders Bäuerinnen, die den überwiegenden Teil der Landarbeit verrichten. Die großen Investoren stecken ihr Geld ausschließlich in Projekte, die großen Gewinn versprechen: Biosprit, Agro-Energie, Mastfutter und Rohstoffe für die Lebensmittelindustrie in China, Indien, Südkorea, Japan und den Golfstaaten.
Die Gier nach Zins und Gewinn ist es auch, die die Investoren blind macht für die »Betroffenen«, die Kleinbauern, Viehhalter, Hirten und Fischer. Die Regierungen leisten dazu ebenfalls ihren Beitrag, wenn sie Land für »leer und unbewirtschaftet« erklären. So werden die alten Besitzer zu einem lästigen Hindernis, mit dem der Investor kurzen Prozess machen darf, indem er sie mit Bulldozern, Gewehren und Fackeln verjagen lässt – unter dem Schutz der jeweils Mächtigen.
Die Bilder ähneln sich, ob in Kambodscha, Laos, Äthiopien, im Sudan, in Ghana, Brasilien oder Bolivien. Sie vermitteln den Eindruck, dass das Kapital weder Traditionen noch angestammte Rechte respektiert, insbesondere dort, wo das Land seit alters den Familien und Stämmen, den Häuptlingen und Königen anvertraut war als
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