Bodenrausch
Aber wenn man sie für die 1,5 Milliarden Überernährten, also für 20 Prozent der Weltbevölkerung, grob schätzen würde, läge man mit 10 Prozent der Weltagrarfläche sicher nicht daneben.
DER GERUCH VON MÜLL
Durch den lebensgefährlichen Lebensstil in den neuen Stadtlandschaften der Welt erhöht sich der Druck auf die Bodenmärkte weiter, ebenso wie durch die Wegwerfmentalität, die einhergeht mit der städtischen Esskultur. Sie beginnt in den Supermarktketten und endet im heimischen Kühlschrank. Bisher wurde sie schamhaft verschwiegen, doch seit 2011 bricht sich die Erkenntnis der »Waste-World« in unseren Mülleimern auch in Deutschland Bahn, ausgelöst durch den Film Taste the Waste .
Mehr als ein Drittel aller Lebensmittel verderben auf dem Weg vom Verarbeiter über den Supermarkt bis zum eigenen Herd. Das sind 1,3 Milliarden Tonnen. Etwa die Hälfte davon entfällt jeweils auf die Industrieländer und die Entwicklungsstaaten (670 und 630 Millionen Tonnen). Diese Menge entspricht der Hälfte der Weltgetreideernte des Jahrgangs 2009/2010. 18
Gefördert wird die Wegwerfmentalität durch die Entwicklung der Einkommen, besonders in den schnell wachsenden Städten und in den Ländern des Südens. Dort erwarten Wirtschaftsexperten nicht nur bessere Lebensumstände, sondern auch im Verhältnis zum Land bessere Berufs- und Verdienstchancen. Während die Einkommen weltweit bis 2050 durchschnittlich um jährlich rund 3 Prozent steigen sollen, werden sie sich in den Ländern der südlichen Halbkugel fast verdoppeln. 19 Damit übertragen sich die Konsum- und Wegwerfmuster des Nordens schleichend auf die neuen Stadtlandschaften des Südens.
Wie viel an Nahrungsmitteln wird für die wachsende Bevölkerung weltweit benötigt? Die FAO geht davon aus, dass sich allein bis 2050 die Ernten bei Getreide verdoppeln müssten. Nur so sei der Hunger der dann 9 Milliarden Erdenbürger zu stillen. Das aber stößt an Grenzen, und eine davon ist die verfügbare Ackerfläche. Sie lässt sich nicht beliebig ausweiten, denn was Frucht tragen kann, ist in den meisten Teilen der Welt schon unter dem Pflug. Für den Einzelnen bleibt immer weniger Land übrig. 20
Was an Fläche fehlte, wurde in der Vergangenheit vielerorts durch künstlichen Dünger und intensivere Bewirtschaftung ausgeglichen. Im Jahr 1960 standen pro Kopf der Weltbevölkerung noch 0,44 Hektar Ackerland zur Verfügung. Bis 2000 schrumpfte der Anteil auf knapp die Hälfte und zur Mitte des 21. Jahrhunderts hin könnte er pro Kopf nur noch 1500 Quadratmeter ausmachen. In etlichen Ländern Asiens und Afrikas aber ist dieser Wert derzeit schon deutlich unterschritten. China kämpft mit einer Fläche von nicht einmal 800 Quadratmetern pro Einwohner um sein Überleben, und nichts deutet darauf hin, dass sich dieses Missverhältnis verringern würde, im Gegenteil.
Das Mindestmaß, das die Vereinten Nationen für eine ausreichende Versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen für notwendig halten, liegt bei 1400, bei Vegetariern reichen auch 1000 Quadratmeter pro Person. 21 Im Jahr 2025 werden bei einer Weltbevölkerung von über 8 Milliarden voraussichtlich nur noch 1700 Quadratmeter (0,17 Hektar) pro Kopf für die Ernährung zur Verfügung stehen. Damit rückt die Weltbevölkerung gefährlich nah an die Untergrenze des Notwendigen.
Der Bevölkerungsdruck steigt und damit der Druck auf die Äcker der Welt. Überernährung, falsche Lagerung und Wegwerfmentalität bringen zusätzlichen Stress in die Nahrungskette. Die schnell wachsenden Städte und dort besonders die ausufernden Slums verlangen auch aus sicherheitspolitischen Gründen nach einem steten Zufluss von Nahrungsmitteln.
Die Zunahme der Weltbevölkerung entwickelt sich damit zu einem der wichtigsten Faktoren auf dem Markt für Grund und Boden. Denn im Gegensatz zu Fleisch und Biosprit – und zu schwindenden Ressourcen bei Boden und Wasser – lässt sich das Wachstum der Weltbevölkerung heute so gut wie nicht mehr politisch steuern. Die zukünftigen Milliarden von Menschen werden ihre festen Ansprüche auf Nahrung, Wasser und damit auf Boden stellen und im Konfliktfall auch gegen andere Interessen durchsetzen, notfalls mit Gewalt.
Abmahnen. Die Kontrolle wiedergewinnen
Der Hunger der Finanz-, Energie- und Rohstoffmärkte wächst. Die Preisspirale an den Lebensmittelmärkten treibt die Staatskonzerne Indiens, Chinas, Südkoreas, Japans und der Golfstaaten zu immer größeren
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