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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Bommert
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Einwohner in Schattenstädten.
    Das wirft nicht nur logistische Probleme auf, wie diese Menschen versorgt werden können, sondern auch Fragen der politischen Stabilität. Wenn die landlosen Massen mit sprunghaft steigenden Preisen für ihr tägliches Brot konfrontiert werden, dann könnte sich dort eine politische Sprengkraft entwickeln, ähnlich wie 2011 in den nordafrikanischen Staaten.
    Die Kehrseite der städtischen Armut ist wachsende Überernährung. Die Stadtluft verändert den Lebensstil, die Konsummuster; in Kombination mit einem höheren Einkommen beeinflusst sie, was auf den Tisch kommt, und auch, was im Müll landet.
    Die Macht der Lebensmittelkonzerne über die Ernährung der Weltbevölkerung wächst, je mehr Menschen sich für die Stadt als neue Heimat entscheiden. Der Diätplan dieser »Welternährer« bereitet der Weltgesundheitsorganisation FAO heute schon alles andere als Vergnügen. Sie beobachtet den Trend zu Nahrungsmitteln mit erhöhter Energiedichte seit Langem mit Sorge. Zu fett, zu süß und zu salzig – der Dreiklang der modernen Ernährungsindustrie bewegt immer mehr Mediziner und Ernährungsphysiologen. Denn der Volkskörper beantwortet diese Angebote mit einer eindeutigen Reaktion: Übergewicht und in der Folge Fettleibigkeit, und dies schon vom Kindesalter an. »In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Rate der Fettleibigen verdoppelt und ist längst kein Problem der westlichen Staaten mehr«, erklärte Professor Majid Ezzati vom Imperial College London 2011. 13 Während 1980 nur 5 Prozent der Männer und 8 Prozent der Frauen weltweit in die Kategorie der Fettleibigen eingeordnet wurden, waren es 2008 bei den Männern schon 10 Prozent und bei den Frauen 14 Prozent. Weltweit haben 205 Millionen Männer und 297 Millionen Frauen die Grenze zum chronischen Übergewicht überschritten.
    Ein Beispiel für diese Entwicklung ist Kampala, die Hauptstadt von Uganda. Die Stadt boomt, Hochhäuser schrauben sich in den afrikanischen Himmel und das Straßenbild wird bestimmt von auffällig vielen Menschen mit auffällig ausladendem Körperumfang. Das hat Gründe.
    In Uganda darf der Schönheitstyp üppige Formen haben, je runder, desto mehr entspricht er dem nationalen Ideal. Das Rezept für die ideale Figur heißt: »big hips, big bums«, dicke Hüften, dicke Hintern. Dieser Formvorlage wird in afrikanischen Staaten schon im Kindesalter nachgeholfen. Volle Teller, volle Backen führen später schneller zum Liebesglück. Diäten oder sportliche Figur gelten in der Hauptstadt Kampala nicht als »sexy«. Auch bei den Männern setzt sich der Bauch durch als Zeichen für Wohlstand und Lebensfreude.
    Das Beispiel zeigt, dass Übergewicht nicht länger nur ein Problem der reichen Länder ist. Auch die afrikanische Mittelschicht lässt gern mal den Bierhahn offen und überlädt den Grill mit Fleisch zur Partytime, so wie in Amerika oder Europa. Und auch der einfache Arbeiter in Kampala greift mittags lieber zu Rolex als zum Henkelmann. Rolex steht in diesem Fall nicht für das beliebte Uhrenplagiat, sondern für ein Fladenbrot mit gebratenem Ei. 14 Fastfood im Anfangsstadium. Für den pralleren Geldbeutel bieten die einschlägigen Ketten ihre »Menüs«. Schnellrestaurants wie Steers, Nandos und Meathead laden zum Spaß mit Spieß, Fritten und Süßgetränken ein.
    Die Kalorienbomben der Nahrungsmittelindustrie ersetzen auch in den Städten Chinas und Indiens immer mehr die Reis- und Teeschalen. Imbissketten, allen voran Kentucky Fried Chicken, gefolgt von McDonald’s, erobern den asiatischen Markt und sorgen für ein Überangebot an schnellen Kalorien.
    Was sich da ausbreitet, ist eine übergewichtige Umwelt, ein »obesogenic environment«, wie die Berliner Forscherin Nanette Ströbele es nennt. 15 1,5 Milliarden Erwachsene brachten weltweit schon 2008 mehr Gewicht auf die Waage als ihrer Gesundheit zuträglich war. Hinzu kommen 43 Millionen Kinder unter fünf Jahren mit ähnlichen Gewichtsproblemen. 16 Ein Blick nach vorn zeigt, dass dies erst der Beginn einer wahren Epidemie sein könnte. Für Großbritannien wird prognostiziert, dass zur Jahrhundertmitte die Hälfte (50 Prozent) der weiblichen und 60 Prozent der männlichen Bevölkerung an extremer Fettleibigkeit leiden werden. Die Kosten beziffern britische Wissenschaftler mit 50 Milliarden englische Pfund bis 2050. 17
    Zahlen über die Nutzfläche, deren Erträge diese chronische Überernährung indirekt beansprucht, gibt es nicht.

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