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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Bommert
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Ballungszonen in Afrika und Asien bringen. Schon 2050 werden mehr als 70 Prozent der Weltbevölkerung in einem urbanen Umfeld wohnen – oder vegetieren. In Asien verdoppelt sich die städtische Bevölkerung bis 2030 auf 2,6 Milliarden Bewohner. In Afrika wird sie sich fast verdreifachen, wenn auch auf niedrigerem Niveau (von 290 Millionen auf 740 Millionen).

    Bevölkerungswachstum in ausgewählten Städten 2000–2025 in Millionen 11
    Es ist vor allem die Landflucht, die den Aufstieg der Städte fördert, wie zum Beispiel im Osten Ugandas. Hier trifft man auf ein gesegnetes Land, aber für die, die davon leben, hat es seinen Segen verloren. Früher kam eine zehnköpfige Familie gut mit dem Ertrag ihres Bodens aus, doch heute reicht das nicht mehr. Das Erbrecht ist schuld, denn es teilt den Boden der Eltern unter ihren Söhnen auf. Das funktionierte früher, erklärt der Dorfälteste, aber mit jeder Generation schrumpfte das Erbteil. Heute sind die Höfe zu klein, um davon noch eine Familie zu ernähren. Die Jungen verlassen die Dörfer. Sie hoffen in der Stadt auf ein besseres Auskommen.
    Eine andere Art von Druck hält die Landflucht in Indien in Gang. Hier sind es vor allem die Mitglieder der unteren Kasten, die versuchen, ihren Dorfgemeinschaften zu entkommen, wo sie verachtet werden. Viele flüchten mit der Hoffnung, für ihre Kinder ein besseres Leben zu finden, eine Ausbildung, einen Schulabschluss, der ihnen den Weg aus der Armut ermöglichen könnte.
    Leinwandhelden wie im Film Slumdog Millionär gehören zu den Hoffnungsträgern. Und wer sich aufmacht nach Dharavi, dem größten Slum Asiens, der sieht bei seiner Ankunft das Elend nicht als Last, sondern als Chance. Wer sich hier einreiht in die Schar der Tagelöhner, sieht weder den Abfall auf den Straßen, noch riecht er das faulige Wasser oder den Gestank von brennendem Müll und Fäkalien. Er sieht in seiner Hütte aus Plastik, Pappe und Wellblech ein Zuhause, das er mit Glück vielleicht einmal verlassen kann, als »Slumdog Millionär«.
    Neben Enge und Diskriminierung gibt es einen dritten Treiber für das Anwachsen der Slums: Flüchtlinge. Vertriebene, die durch den Klimawandel oder Bürgerkriege zum Verlassen ihrer Dörfer gezwungen werden. 34 Millionen Menschen standen 2010 unter der Obhut des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Auf 13 Millionen Menschen schätzt das UNHCR die Zahl der sogenannten Binnenflüchtlinge in Afrika. Sie flüchten vor allem südlich der Sahara. 2011 dürfte ihre Zahl durch die Dürre am Horn von Afrika noch einmal deutlich zugenommen haben. Eine Rückkehr in ihr Land, von dem sie vertrieben wurden, ist für die meisten Opfer von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen unmöglich oder undenkbar. Die Städte bieten ihnen trotz der Elendsquartiere immer noch mehr Sicherheit und garantieren zumindest das Lebensnotwendige, Trinkwasser und Notrationen aus den Lagern der internationalen Hilfsorganisationen.
    Der Druck auf die Ballungszentren wird in Zukunft noch wachsen. Der Bodenrausch vertreibt seit 2008 zusätzlich Menschen von ihren Äckern und aus ihren Dörfern. Die anbrandende Welle aus Hunger und Armut wird die Slums verändern. Sie werden keine Ansammlungen von Holz- und Wellblechhütten mehr sein, die noch die Idee von einem eigenen Zuhause bergen. Die Slums der Zukunft sind bloße Zitate einer städtischen Zivilisation, in der Realität aber Notquartiere aus Plastikplanen und Pappwänden, mehr Verschläge als Behausungen. Sie werden vor allem dort entstehen, wo das Land als unbewohnbar gilt. Etwa in den »Smokey Mountains«, wie die Müllberge von Manila wegen ihrer Schwelbrände genannt werden. Oder sie wachsen in den Erosionsschluchten von Abwasserkanälen, an den Dämmen von Bahntrassen und Schnellstraßen.
    »Eine Wette auf die Katastrophe«, nennt Mike Davis diese Siedlungen in seiner Dokumentation Planet der Slums . 12 Denn die Elendsviertel sind die ersten, die bei Unwettern von Schlammlawinen begraben oder von Überschwemmungen weggerissen werden.
    Insgesamt liegt die Zahl der Slumbewohner weltweit heute bei rund 1 Milliarde. Afrikanische Städte werden von ihren Slums nahezu erdrückt. In Slums wohnt südlich der Sahara die Mehrheit (72 Prozent) der Stadtbevölkerung. Auch in Südasien bestimmen Slums das Bild der Städte. Nordafrika, Südamerika und Ostasien müssen dieses Gewicht einer übermächtigen Armut nicht tragen. Aber auch hier lebt mehr als ein Viertel der

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