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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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selbst ausgeschlossen hatte. Aber sie hatte schon kurz nach ihrer Kommunion das Theater durchschaut. Ihre Eltern und deren Familien hatten persönlich zu dieser Ernüchterung beigetragen: Sie predigten Nächstenliebe, aber ihr Hausmädchen musste allein in der Küche essen. Sie wurde mit einer Glocke zum Servieren gerufen. Kastendenken und Knausrigkeit ekelten Paula an. Außerdem gab es die Nonnen ihrer Klosterschule, die ihre Schülerinnen mit unsinniger, pseudogeistiger Nahrung mästeten, die schmutzige Höschen auf die Rücken der Internatskinder hängten, diese verdammten Nonnen hatten sie mit dunkler Furcht und globalem Abscheu gefüllt, und sie, Paula, hatte sich immer vorgestellt, unter dem kirchlichen schwarzen Gewand mit blütenweißem Kragen trügen die Nonnen befleckte Unterwäsche. Damals kannte sie das Wort Sadist noch nicht, aber das Böse, das in ihrer Seele Pusteln wachsen ließ, konnte sie ausmachen und benennen.
    Nach drei Wochen (Dienst nach Vorschrift! Wie viel Zeit war da verloren gegangen, und indessen lief der Perverse immer noch herum und genoss sein Leben, nach der nächsten Beute am Blausee oder woanders spähend) war die Leiche überraschend schnell freigegeben worden. Vor dem Altar war der Sarg der jungen Frau aufgebahrt, altweiß, und ein Freund von ihr hatte Notenschlüssel auf diesen Sarg gemalt. Plakativer ging’s wohl nicht. Die weißen Lilien strömten einen Geruch von alten parfümierten Frauen aus. Viel zu viel Weiß für Paulas Geschmack, und viel zu viel Schwarz, alle Trauernden in Tinte getaucht. Sie selbst lebte, ihr mädchenhafter Sohn lebte, der Priester vorn und sein Gehilfe lebten und dieser Pinguin hörte nicht auf, allen einzuhämmern, dass die tote Pianistin zu einem ewigen, leidlosen Leben wiederauferstehen werde, und alle diese Erwachsenen taten so, als könnten sie sich das gut vorstellen, im Jenseits der Pianistin zusammen mit Bach, Beethoven und Chopin zu applaudieren, verdammt, alter Mann, mach uns lieber eiskalt klar, dass auch wir den Tod in uns tragen, den programmierten Tod der Zellen, den Herz- und den Hirntod, und nicht nur den harmlosen Tod der Träume, der Gefühle und des illusorischen Glaubens-an-sich-selbst-und-an-die-Anderen, das sowieso. Ja, liebe Gemeinde, der Maulwurf-Tod wühlt in jedem von uns, heimtückisch macht er sich breit in euren Sünderlungen und gräbt seine Gänge unter eurer hektischen Brust. Ihr habt sowieso alle die Todesstrafe verdient, weil ihr eurem Nächsten nie richtig zugehört habt, euer Kind nicht genug geliebt und weder den Pfarrer noch den Dorftrottel respektiert, überhaupt seid ihr nicht besonders nett zueinander, genießt trotzdem das Leben, so absurd es auch ist, und weint über dieses Traumwesen, das euch vorausgeeilt ist.
    Ihr Glucksen unterbrach Martins Schniefen, der nicht aufhörte, sich mit dem Finger unter die Nase zu fahren und das Blatt der Kirchenlieder, das er zuckend hielt, mit Tränen und Rotzfingern zu befeuchten. Er guckte schockiert zu ihr, sie reichte ihm ein Taschentuch und befahl ihm leise, sich ein für alle Mal die Nase zu putzen und sich zusammenzunehmen.
    Hinter Evelyns Eltern und Großeltern schluchzten Musiker und Künstler, echte Freunde und Rivalen. Viele lebten dicht an der Armutsgrenze, aber sie lebten. Als Paula sich umdrehte, erblickte sie ganz hinten die Polizisten, die sie befragt hatten, Liliane Hoffmann und Andreas Moser. Unzertrennlich, schien es, zumindest in dieser Angelegenheit. Sie standen – ihre Köpfe und Blicke kreisten um die Anwesenden wie das Rundblickperiskop eines Geschützturms, auffälliger ging’s kaum. Anfänger, seufzte Paula, arme, kleine Bullen. Und in einem billigen schwarzen Aufzug, Secondhand-Klamotten. Dass man sein Brot auf diese Art verdienen muss, war schon pathetisch. Na ja, vielleicht auch spielerisch. Das Katz- und Mausspiel, das Herumrätseln, das Recherchieren, das war sicherlich ab und zu auch spannend, ein Puzzleteil nach dem anderen zusammenzufügen, einen Revolver an der Hüfte zu spüren, ja. Aber sie wühlten im Müll, da haftet auf Dauer der Gestank, bestimmt konnte man nicht so gut das Privatleben von dem Beruflichen trennen, sodass Ermordete und Mörder nicht in den vertrauten Gesichtern der Nächsten ab und zu durchschimmerten. Die katholischen Schafe gingen jetzt zur Kommunion und einige naschten ihre Hostie auf

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