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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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dem Rückweg. Als das Kind Paula sich weigerte, weiter in die Kirche zu gehen – sie mochte diese Priester nicht, die geil auf Beichten sind –, hatten ihre Eltern sie nicht dazu gezwungen. Ihre Trauer darüber zeigten sie aber zur Genüge, vor allem ihr Vater wollte ihr jeden Sonntag ein schlechtes Gewissen einreden: Wir werden für dich und deine Seele beten, mein Kind. Wir hoffen, dass du zur Einsicht kommst, bevor es für dich zu spät wird. Auch bei Tisch wurde ein Gebet gemurmelt, das den Geschmack der Suppe verdarb. Gott möge auch unsere rebellische Tochter segnen. Sie durfte schließlich auf ein staatliches Gymnasium, was sie als Befreiung empfand, und nach und nach, weil sie sehr gute Zeugnisse hatte, entschwanden die Gebete im Dampf der Speisen.
    Auch Herr Doktor Jürgen Bodin kam von der Kommunion zurück. Sie hatte gar nicht gewusst, dass er so katholisch war. Oder wollte er sich nichts entgehen lassen? Wie die Kinder, die sich beim Onkel Doktor auch ein Bonbon mitnehmen dürfen. Ein seniler, inzwischen sicher impotenter Bodin. Er ließ seinen Blick über viele Köpfe in ihre Richtung gleiten, grüßte sie und Martin mit einem Kopfnicken. Was wollte er hier? Er kannte Evelyn doch kaum, oder war sie eine seiner zahlreichen Künstlerinnen-Patientinnen? Woher hätte sie das Geld dafür gehabt? Ob es klug gewesen war, Bodin ihren Sohn als Patienten zu schicken? Andererseits hätte Martin keinen anderen Psychotherapeuten akzeptiert. Ganz zu schweigen von den langen Wartelisten in jeder guten Praxis.
    Die Eltern und Geschwister der Verstorbenen saßen in der ersten Reihe. Die Mutter lehnte sich immer wieder an den Vater, den armen, der den Kummer von zweien in seiner Brust spürte, seinen und ihren. Wie ertrug man die Unerträglichkeit des Lebens nach der Ermordung des eigenen Kindes? Wie würde sie selbst Martins Tod verkraften? Das Leben in olympischem Tempo durchrennen, bis zur Erschöpfung rennen, inmitten des Tunnels laufen, in der Hoffnung, ein Auto übersieht und überfährt einen, oder sich volllaufen lassen, Whisky und Drogen, das wäre eher ihre Option. Sie wäre nur noch das weibliche Pendant zu Edvard Munchs Schrei, einem grauenhaft schreienden Maul, ein schwarzes Loch, das man nur mit Erde vollstopfen könnte. Auch wenn ihr Sohn eine Zumutung darstellte und sie wahnsinnig machte, wie jetzt mit dem Schniefen. Stürbe er, hätte sie andererseits keine Furcht mehr, dass er sterben könnte, keine Verantwortung mehr für seine Zukunft, keine Erwartung, nichts, das große Nichts ist auch eine Erleichterung.
    Alle hatten wieder brav ihren Platz eingenommen. Die Orgel wurde von einem Freund Evelyns gespielt, ein Sopran sang das Ave Maria. Martin weinte heftiger, wischte sich die Augen mit dem Handrücken. Bald würde er ihr leidtun, eigentlich tat das große Kind ihr jetzt schon leid. Es befand sich auf dem falschen Planeten, würde bei seiner Sentimentalität ein Leben lang leiden. Sie wagte es, eine Hand auf seine zu legen. Fast ein Streicheln. Er warf ihr sofort einen dankbaren Blick zu, ach Gott, der Junge ist viel zu schnell dankbar, auch das wird ihm nur Kummer bringen. Sie sah ihre Hand auf seiner und die unsichtbaren Handschellen, die sie verbanden, spürte, wie ihre eigenen Tränen sie würgten, nahm ihre feuchte Hand schnell weg und trocknete sie am lila Kleid. Sie hob den Blick zu einer hölzernen Maria mit ihrem blond gelockten Sohn auf dem Arm und sagte ihr, pass auf, Maria, dass mir keiner meinen Jesus kreuzigt.

FELD 20: FOLTER AM SEE
    Ich suche allerlanden eine Stadt
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen großen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt
Und in der Stirne seinen Stern als Siegel.
    E LSE L ASKER- S CHÜLER, Gebet
    Die dunklen Töne der Orgel begleiteten noch seine Gedanken an die tote Evelyn, er war von ihr erfüllt, dunkel und starr wie ein Sarkophag. Kummer und Trauer ließen sich für ihn nur in der Natur abschütteln und lüften und leichter ertragen. So radelte er zum See, trat fest in die Pedale, spürte den kalten Wind um die Wangen, den leichten Modergeruch der Landschaft. Sein Trampeln auf dem Rad rückte die Welt wieder zurecht. Auch das Bild der Mutter zerbrach im Fahrtwind, Mutter (mehrmals blöd kichernd) in ihrem violetten Mantel, darunter ein lila Kleid, auf das sie eine schwarze seidene Blume als Zugeständnis an die

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