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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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ihrem Onkel unter einer Decke stecke. Verbrechen, die ihr plötzlich einfielen, nach mehr als sieben Jahren analytischer Psychotherapie, nach einer Trennung von ihrem Mann, der sie für eine Fröhlichere verlassen hatte. Auch ihre Mutter war von ihrem Stiefvater verlassen worden, und in diesen Tragödien des Verlassenseins war nie von einem Inzest die Rede gewesen. Er, Bodin, sollte endlich den Mut finden, sie ihren Weg gehen zu lassen, schließlich war er kein Moderator ihrer Livesendung und auch kein Sterbebegleiter, ja, er könnte sie genau mit diesen Worten wegschicken, liebe Frau, ich mache keine Sterbebegleitung, und dann würde sie sich vor lauter Verzweiflung umbringen (kein Verlust für die Menschheit) oder sich endlich erzürnt erheben und sich in Wut ein neues, frisches Leben ersinnen, was er ihr aufrichtig wünschte. Sollte er das tun?
    Das Bild der Ewigsterbenden mit dem langen grauen Haar führte ihn leider zu seiner eigenen Mutter, die ihres nur nachts auf die Schultern fallen ließ, der einzige Befreiungsakt dieser Sklavin. Seine Mutter wrang den Lappen in einen roten Plastikeimer aus, und nur ihr Lachen war sauberes Wasser. Er hob die Füße, damit sie darunter aufwischen konnte, und sie spendete ihm ein winziges Lächeln, um sich zu bedanken. Er war früher als vorgesehen von der Schule in den Haushalt eines Lehrerehepaars gekommen, Arbeitgeber seiner Mutter, freundliche Leute, die ihn fragten, ob er Hilfe bei den Hausaufgaben brauche. Nein, der Junge ist der Klassenbeste, mischte sich die Mutter ein. Eine Eins in Latein, Deutsch, Mathe! Bei jedem Fach erhob die Mutter einen roten, feuchten Finger. Und die Lehrer standen im Türrahmen, schauten einander verdutzt an und lächelten verlegen, na sieh mal da, Klassenbester! Und er war auch stolz, der kleine Jürgen, sehr stolz, und doch wurde es ihm dabei mulmig, als schämte er sich des unschicklichen Stolzes seiner Mutter. Und der Arbeitgeber lachte auf, das freut uns aber, und der kleine Lump hat es uns verheimlicht! Und der zwölfjährige Jürgen stand auf und ging, hinterließ Spuren auf den noch feuchten Kacheln der Küche. Im Wohnzimmer traf er Clothilde, die Tochter des Lehrerpaars, ein Kind in seinem Alter, aber ziemlich dumm, nur an seinem kleinen Barbiepuppen-Aussehen interessiert und an dem Eindruck, den sie bei Jungen schinden konnte, eine schlechte Schülerin, was natürlich die intellektuellen Eltern beschämte, sie hatte es nicht mal auf das Gymnasium geschafft, und die Eltern hätten sicher alles gegeben, um Jürgen gegen Clothilde auszutauschen, wünschten sich bestimmt, dass die Kinder im Krankenhaus verwechselt worden wären, Clothilde als Tochter der Putzfrau und der intelligente Jürgen als ihr eigener Sohn, nur dass es schlecht möglich war, Mädchen und Jungen zu verwechseln. Clothilde ging an dem Esszimmertisch vorbei, auf dem ein stark duftender Lilienstrauß in einer Kristallvase stand, sie streichelte beim Vorbeigehen die Esstischplatte, auf der sie Fingerspuren hinterließ, maschinell ließ auch Jürgen die Hand über diese Spuren gleiten. Sie lief vor Jürgen in die Diele zur Eingangstür, und Jürgens Blick richtete sich auf ihr Faltenröckchen, das sie ungeniert mit der rechten Hand ein bisschen hochhob, um sich an der Gesäßbacke zu kratzen, sie drehte dabei kurz den Kopf, um sich zu vergewissern, dass Jürgen ihr folgte und hinspähte, sie fragte, ob er nicht mit ihr spielen wolle, sie fragte, ob er wirklich nicht mir ihr spielen wolle, und Jürgen wiederholte, nein danke, er müsse gleich mit der Mutter nach Hause gehen, Hausaufgaben machen, und sie ließ ein verächtliches Lachen erklingen, bah, was bist du für ’n Schleimer, na ja, mir soll’s egal sein, habe sowieso keine Zeit mit dir zu verlieren, bist mir zu langweilig, du Zwerg, und der krebsrote Jürgen spürte, dass er irgendwann Ja sagen würde, ja, er würde gern mit ihr spielen, was auch immer diese Spiele sein würden, und auf der Straße und den ganzen Abend lang sah er ihre Hand am Hintern, das hochgehobene blaue Röckchen und die blassen Schenkel darunter, die weiße Farbe ihres Höschens. Er schloss sich im Bad ein, aber auch danach konnte er sich nur mühsam auf die Lateinvokabeln konzentrieren.
    Damals wollte er ein Abenteurer werden, ein Kämpfer gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, ein John Wayne in »Der Mann,

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