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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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Agenten, der sie nach Berlin bringen wollte, aber sie hat mir nichts davon gesagt, fürchtete vielleicht die Konkurrenz, wollte ihn für sich behalten, was weiß ich.
    Das Mädchen klang genervt. War Evelyn denn so, wie Sie sie eben beschrieben haben?, fragte Liliane, ehrgeizig, egoistisch, eine Geheimniskrämerin?
    Ach Gott! Ich habe es doch nicht so gemeint, erschrak Alina, nein, nein, sie war nett, wir haben uns gut verstanden, wir wollten auch zusammen ein Konzert geben, aber wir sind uns doch nicht wirklich nahe gekommen. Nur wenn wir zusammen spielten, es war nicht so oft, sie war ständig beschäftigt.
    Waren Sie manchmal ein bisschen neidisch, weil sie mehr Erfolg hatte und so wenig mit Ihnen teilte?
    Liliane fragte sich, warum sie das Mädchen seit einer Stunde so quälte und sie zermürben wollte. Aber klar wusste sie es: Alina sollte sich endlich Mühe geben, sich an irgendetwas erinnern, schon allein um Liliane loszuwerden oder um den Neidvorwurf (Alina war eifersüchtig und neidisch gewesen, es war so auffallend wie Pinocchios Nase) zu zerstreuen.
    Haben Sie nie jemanden bei ihr gesehen, den Sie selbst nicht kannten?
    Alina streichelte nachdenklich und eindringlich ihre Flöte. Beide Frauen schwiegen. Alina hob plötzlich den Kopf, schluckte: Doch, vielleicht einmal. Ich bin einmal nachmittags früher als sonst nach Hause gekommen und da war jemand, ein Typ, der wollte aber gerade weg, er hat nicht mal gegrüßt, ist an mir vorbei, als ich in die Wohnung ging, guckte nach unten, schlecht gelaunt. Ich habe Evelyn gefragt: Was war das für einer? Ein Bekannter, hat sie nur gesagt, mehr nicht. Allerdings hatte ich irgendwie den Eindruck, dass sie ihn gut kannte und nicht von ihm sprechen wollte.
    Und wissen Sie noch, wie er aussah?
    In groben Zügen. Groß, braunes Haar. Er hatte einen Mantel an, das weiß ich noch, einen schicken dunklen Mantel und einen roten Schal. Er sah nicht wie ein Musiker aus unseren Kreisen aus.
    Würden Sie ihn erkennen?
    Nein, glaube ich nicht. Es ist schon eine Weile her, zwei, drei Monate. Ich habe sein Gesicht kaum gesehen. Er ist rausgekommen, ich rein, wroum! Zwei Sekunden hat’s gedauert.
    Alina schaute in Richtung ihrer Partitur. Ich muss jetzt wirklich arbeiten, sagte sie.
    Immerhin ging es Liliane besser, als sie die Treppen hinunterging.

FELD 19: DIE BEERDIGUNG
    [Hostie]
Fünf Kilo »Diamant Mehl Weizen Type 405« mischt man auf fünf Liter Wasser. Zehn Minuten lang in der Knetmaschine anrühren. Der Teig wird auf ein Waffeleisen gepresst, worin christliche Motive eingraviert sind. (…) Es gibt auch bräunliche Hostien. »Den Brothostien mischen wir etwas Melasse bei«, sagt Schwester Helga. Und die Leiterin der Oblatenbäckerei, Christine Ritter, 33, ergänzt: »Für Träger von Zahnprothesen sind die besser geeignet. Sie kleben nicht so leicht am Gaumen an.«
    S PIEGEL S PEZIAL, 1.4.1999
    Das Gefühl des Lebendigseins war obszön. Das Ein- und Ausatmen der Menschen, die Ausdünstungen, die gesenkten Häupter mit den fahlen Nacken; Paula spürte das Gewicht der zur Schau getragenen Brüste der Frauen, auch wenn diese Brüste wie artgeschützte Tiere unter den dunklen Mänteln verborgen blieben, sie fühlte die Wärme der Mäntel, das Frösteln trotz dieser warmen Mäntel, die Beine in Strümpfen aneinander gerieben, die Zungen und Zähne, die kurz zwischen den Lippen blitzten. Anschließend würden die Leute sich noch die Hand reichen, um sich der Bruderschaft der Lebenden anzuschließen. Paula verstand die zeremoniellen Riten der katholischen Kirche nicht mehr, denen sie als Zwölfjährige entschieden hatte zu entfliehen, und sie empfand das Leben um sich herum und das eigene Leben als eine ungeheure, skandalöse Wirklichkeit. Die Rücken vor ihren Augen duckten sich wie Chitinpanzer zum Schutz des eigenen Lebens. Da vorn lag Evelyns Leichnam im Sarg. Die Messe versammelte zweihundert Personen, die ihre Ratio vor dem Kirchentor gelassen hatten, um sich mit der erfassbaren Welt der einfachen Rituale zu trösten. Der Priester warf himmlische Worte, kümmerliche Krümelchen auf Gottes Hühnerhof. Die Gläubigen glaubten daran, ernsthafte Erwachsene nahmen sie ernst, wünschten sich, dass der Kummer besser schmeckte, und Paula konnte nur staunen, auch wenn sie sie insgeheim beneidete, da eine Gemeinschaft entstand, aus der sie sich

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