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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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außerdem doch erschossen worden.
    Mama, antwortete Martin, und nahm ihr die Flasche aus den Händen, Evelyn ist nicht von einer Kugel getötet worden, wir haben uns das nur zusammengereimt, weil ich einen Schuss gehört habe. Bist du denn verrückt geworden?, zischte seine Mutter gleichzeitig mit dem Kessel, den sie von der Flamme nahm, und sie näherte sich ihm mit diesem Kessel in der rechten Hand so bedrohlich, während sie mit der linken fuchtelte, dass er, immer noch die Whiskyflasche in der Hand, vorsichtig rückwärts schritt.
    Du willst ihm ein Verbrechen anlasten? Zu seiner Erleichterung stellte sie den Wasserkessel auf den Tisch (er würde Spuren auf dem Holz hinterlassen, obwohl Martin ihn sofort hochhob, sich damit sicherer fühlte, und den Tee selbst überbrühte). Und die Mutter stürzte sich in eine lange Rede gegen ihren Sohn. Er sei schon immer eine Schlange gewesen, schon als Knabe habe er eine kleine Cousine denunziert, der eine teure Vase entglitten war, anstatt den Fehler auf sein Konto zu nehmen und ganz Kavalier die Strafe dafür einzustecken. Schon als Kind konnte er in die Hand beißen, die ihn ernährte, jawohl, ihre Hand, Mamas Hand, und sie zeigte ihm diese Hand, auf der man keine Narbe, keine alte Spur eines kindlichen Gebisses feststellen konnte, nur erregend manikürte himmelblaue Nägel, die mit ihrem fabelhaft gut geschnittenen Kleid harmonierten (Martin würde sich denselben Nagellack kaufen). Ihre Füße steckten in grauen Stiefelchen, die sie in Mailand anfertigen hatte lassen. Ziegenleder. Du warst immer eifersüchtig auf Bodin, schrie sie, immer, wie auf alle meine Freunde, du wolltest mich für dich allein, ich kann es verstehen, du hast deinen Papa früh verloren, aber du bist jetzt erwachsen, musst du dich heute noch an Bodin rächen? Martin bat sie, diese betrunkene Art von Damenkranz-Psychologie zu unterlassen, zu spät, zu spät, sie überschüttete ihn, undankbaren Jungen – oder bist du heute meine Tochter? – mit einer Lawine von vorwurfsvollen Erinnerungen. Wüsste er denn nicht mehr, wie Bodin für ihn, den Zwölfjährigen, Bogen und Pfeile geschnitten hatte, um mit ihm auf Bäume zu schießen, wie Bodin darauf bestanden habe, dass er am Tisch und abends bleiben durfte, solange es ihm gefiel, als sie ihn so gern in sein Zimmer geschickt hätte, weil seine Beschlagnahmung ihrer Person sie an die Grenzen der Geduld brachte? Dass Bodin ihm, jedem polizeilichen Verbot trotzend, mit vierzehn auf Waldwegen das Autofahren beibrachte, habe er denn vergessen, dass er ihm heute noch in seinem sexuellen Dilemma beistehe, ja, Martin, ich meine deine Therapie, und Martin unterbrach sie, um laut und höhnend zu lachen: Therapie? Wenn Bodin sich wie ein Psychotherapeut verhält, dann bin ich Freud in Person. Er hatte sich hingesetzt und eine Crêpe auf seinen Teller geworfen. Er rollte sie zusammen und aß sie gierig ohne Gabel und Messer. Die Mutter schwieg einen Augenblick, bestürzt über seine Hinterlistigkeit oder seine schlechten Tischmanieren, schob ihren kleinen Hintern an den Rand ihres Stuhles und bediente sich, bevor das Ungeheuer alle Crêpes verschlungen hätte. Sie schwiegen. Als hätte der aggressive Austausch nicht stattgefunden, schlug sie ihm später eine Scrabble-Partie vor, oder wenigsten ein Brettspiel, er lehnte kühl ab, schaute wie erschrocken auf seine Uhr und stand auf. Auf seinem Teller lag noch eine halbe Crêpe, die er nicht mehr hineinstopfen konnte. Er wischte sich den Mund ab, gab ihr ein trockenes Küsschen und flüsterte ihr ins rote Ohr: Trotzdem, Mama, ist Bodin verdächtig, du hast ihn schon lang nicht mehr gehört, der Typ ist wahnsinnig. Bevor er sich schnell davonmachte, nahm er noch die Flasche Whisky mit. Er hatte keine Lust, nach Hause zu radeln und vor seinem Computer zu sitzen oder sich über die Bücher zu neigen, er saß in der aufkommenden Dämmerung am See und trank die Flasche seiner Mutter leer. Er sagte sich: Ich trinke die Flasche meiner Mutter leer und habe einen großen Bogen um den »Roman meines Lebens« gemacht. Er lachte wie Bodin und sagte sich: Ich lache wie Bodin. Sein Blick haftete an der Oberfläche des glitzernden Wassers (verzerrte Wolken und Bäume flimmerten mit), an den Schwimmblättern der verschwundenen Seerosen, an den Wasserlinsen, er glitt an dem Röhricht, an den Stängeln

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