Bodin Lacht
des Schilfs und seiner Wurzeln und versank mit ihnen im schwarzen Seeboden, tauchte wieder auf, legte sich ins feuchte Gras, auf die verwelkten Farne des Ufers und traf die goldenen Augen eines wachen Frosches. Er spürte, wie seine wandernden Pupillen sich durch Hunderte Fäden mit den Dingen verbanden, die ihn mitnahmen und in Erde, Wasser und Pflanzen entschwinden lieÃen. Bald war es zu dunkel, er fror, und als er wieder auf sein Rad stieg, fing es an zu schneien, ein unglaublicher Wirbel, der ihm auf einmal die Sicht nahm, und, als er zu Hause ankam, war sein Haar weià geworden.
FELD 25: MORDSHUNGER AUF LEBEN
[Crêpe]
250 g Weizenmehl, 4 Eier, ein halber Liter Milch, eine Prise Salz, 50 g Butter, 1 Tütchen Vanillezucker, ein Löffel Rum. Alles gut vermischen, bis ein glatter Teig entsteht.
Martins Wörter bohrten sich einen Weg in ihrem Kopf, sie krabbelten unter der Brust weiter und verstreuten ihr Gift in ihrem Magen. Sie öffnete eine neue Whiskyflasche (wie dumm dieses Kind doch war!), um gegen das Gift anzukämpfen, dämmte mit beruhigenden Erinnerungen den aufkommenden Verdacht ein: Sie wusste doch, dass Bodin, als sie sich in gutem Einverständnis vor Jahren trennten, schon wenig Neigung für die körperliche Liebe hegte, was sie ihm selbstverständlich vorwarf, sie fühlte sich nicht mehr begehrt und für seine Fürsorge und gütige Liebe fand sie sich zu jung, noch zu gierig nach Gefühlen und Leidenschaft. Ein Mordshunger nach Leben. Alles, was eine Frau in den besten Jahren sich noch wünschen kann, sollte sie aufgeben? Er trank viel (sie jetzt mehr), rauchte viel und wenn sie meckerte, dass er sich als Arzt so wenig um die Verkalkung seiner feinen BlutgefäÃe scherte, lachte er müde und schaute sie mit gütiger Ãberheblichkeit an, so wie man einen dummen Hund anschaut, dem man nachsieht, dass er nicht mit Vernunft gesegnet ist. Sie trennten sich, als sie merkte, dass er impotent wurde; sie hatte dann eine kurze Affäre mit einem geistlosen Trainer aus dem Sportstudio.
In dem »Roman meines Lebens« kritzelte sie ein paar Gedanken, nur keinen Fakt, ein Streit ist ein Fakt, Fakten sind Knochen, schrieb sie, Knochen für knurrende Hunde. Meine Gedanken sind mir in die Tasche verrutscht, da liegen sie wie farbige Spielsteine, gut genug, um eine Porzellanpuppe, mich, zu steinigen, Ohnmacht, Unsinn des Lebens, das Leben hat mich selbst in die Tasche gesteckt, unglaublich die Gefangenschaft mitten im Leben, lieber Gott-an-den-ich-nicht-glaube, lass mich wieder, mich in die Welt verlieben. Sie ging in Martins Zimmer und drückte ihr Gesicht an einen Teddybär, der auch einen Gott abgeben konnte, aber ein kalter, neuer Gedanke lähmte sie plötzlich: Könnte es nicht doch sein, dass Bodin sie damals einfach nicht mehr begehrte und deshalb immer öfter ausfallen lieÃ, was ihnen beiden früher so viel Spaà bereitet hatte? Könnte es nicht sein, dass er bei jüngeren Frauen schon damals seine Erfüllung suchte und fand, und könnte es nicht sein, dass eine süÃe, junge Frau wie Evelyn sich gegen ihn wehren musste und ⦠Der Film, den Martin ihrer Fantasie zugemutet hatte, war nicht ganz abwegig. Andererseits war Jürgen Bodin ein angesehener, bedachter Arzt und Psychotherapeut, es wäre unbegreiflich, dass er sich in eine solche Situation begeben hätte. Einen Grund mehr, um das Opfer der Begierde zu töten, flüsterte ihr der Giftteufel zu, und sind nicht die meisten Psychotherapeuten, Analytiker, Psychiater selbst durch den Wind? Quatsch! Schon lange war Bodins Feuer gelöscht, schon lange alle Tricks der Verführung durchschaut, die Falle der Erregung durchkreuzt, die Schichten der Leidenschaft auf dem Seziertisch zerlegt, wie hätte ein kluger, ironischer Mann wie Bodin sich im Rausch eines Liebeswahnsinns verlieren können? Niemals! Bodin war nur ein müder, sarkastischer Psychotherapeut, der sich zu wichtig nahm, aber kein Gewalttäter.
Paula war verwirrt und schaute auf die halbe Crêpe auf Martins Teller. Sie nahm sie und fuhr mit der Zunge über die abgebissene Stelle, bevor sie sie in den Mund steckte, langsam zerkaute und mit ihrer Scham hinunterschluckte. Warum war sie immer so gehässig zu ihrem Sohn? Er benahm sich manchmal befremdend, weder Fisch noch Fleisch war der Junge, ihr einziges Kind aber, und die einzige Person, die sich wirklich um sie kümmerte, und
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