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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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nicht in eine Frau und als Frau nicht in einen Mann, wahrscheinlich gar nicht. Für jemanden schwärmen, ja. Mehr nicht. Bodins Frage war aber wieder nur ein Sprungbrett, um in das trübe Meer seines Egos einzutauchen: Mir geht es ähnlich, das Sich-Hineinfühlen in die grauen Seelen meiner Patienten hat mich unempfindlich für eigene Gefühle gemacht, sagte er. Ich frage mich, wie ich mich wieder lebendig fühlen könnte. Manche primitiven Völker haben dazu das Fleisch ihrer tapfersten Feinde gegessen, sagte Martin, um sich ihren Mut oder andere Eigenschaften anzueignen, ihre Lebenslust, oder ihr Talent.

FELD 24: STREIT
    Du freier Mensch, du liebst das Meer voll Kraft,
Dein Spiegel ist’s. In seiner Wellen Mauer,
Die hoch sich türmt, wogt deiner Seele Schauer,
In dir und ihm der gleiche Abgrund klafft.
    Du liebst es, zu versinken in dein Bild,
Mit Aug’ und Armen willst du es umfassen,
Der eignen Seele Sturm verrinnen lassen
In seinem Klageschrei, unzähmbar wild.
    C HARLES B AUDELAIRE
Die Blumen des Bösen,
Der Mensch und das Meer
    Das Eintauchen in die submarine Welt war eine wahre Reinigung des Geistes und eine Aussöhnung mit der Welt. Zwei Tage lang beschäftigte er sich nur mit seiner Arbeit über das Laichen der Anemonenfische. Die gallertartige Substanz, die die Fischeier in der Tiefe des Ozeans beherbergt, stärkte wieder seinen Willen zu leben. Er traf auch seine Bekannten im Goldenen Croissant und sie sprachen wieder über den Fall Evelyn Gorda. Kein Mädchen wollte mehr allein am See spazieren gehen. Er ging auch zur Sprechstunde seines Professors, der mit dem Aufbau seiner Arbeit sehr zufrieden war. Martin hatte das Gefühl, sich allmählich wieder in den Griff zu bekommen, seine Mutter aber bat ihn wieder zu sich und ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter klang so ernst, dass er doch nachgab und sich schnell auf den Weg machte. In der Allee, die zur Villa führte, stimmten ihn die kahlen und gestutzten Platanen melancholisch. Die Stümpfe, die sie am grauen Himmel zur Schau stellten, ergriffen ihn auf rätselhafte Art. Vor der Haustür tauchte seine Mutter in blau auf: Das Blau des angeschmiegten Wollkleids, die lila Schminke der Lider und auch etwas Azurnes schimmerte in ihrem kühlen Lächeln.
    Lieber Martin, Bodin hat angedeutet, dass deine Zunge sich zwar löst, aber dass du dir schlimme Andeutungen erlaubt hättest, ich spreche von Evelyn.
    Mama, Bodins Zunge löst sich schneller als meine, konterte er, und ja, wir haben uns über Kerzen unterhalten, dass man mit sie den Fingern löscht, wenn man ihr Licht nicht mehr braucht.
    Kannst du vielleicht deutlicher werden, fragte seine Mutter, die immerhin ein Goûter (sie nannte so, was normale Menschen Nachmittagskaffee nennen) vorbereitet hatte, ein kleines Goûter für mein Kind, wie sie meinte, Crêpes mit Konfitüre, und sie setzte Wasser für den Tee auf. Die Flasche Whisky und ein halb leeres Glas standen schon auf dem Küchentisch.
    Bodin ist in der letzten Zeit sonderbar geworden, außerdem hat er Evelyn angehimmelt, sagte Martin, nahm das Glas und leerte es in die Spüle.
    Wer nicht?, bemerkte seine Mutter, die sich umdrehte und einen stutzigen Blick auf ihr Glas warf.
    Mama, seine exaltierte Art finde ich verdächtig, und ja, wenn du es unbedingt wissen willst, frage ich mich, ob nicht er ein Verhältnis mit Evelyn hatte.
    Was?, empörte sich seine Mutter, deren Wangen sich röteten, was meinst du mit Verhältnis?
    Sie goss sich einen neuen Schluck Whisky ein und sprach mit glänzenden Lippen: Was sollte diese diskriminierende Bemerkung, als hätten auch ältere Menschen nicht das Recht, sich zu verlieben. Falls man hier von Verliebtheit sprechen darf. Er ignorierte die Solidarität der Mutter und fügte hinzu, so kühl wie möglich, er könne sich gut vorstellen, dass Bodin zuerst Evelyn faszinierte, seine Intelligenz, seine psychologischen Kenntnisse, vielleicht habe er sie ein bisschen verwöhnt, vorgeschlagen, sie in ihrer Karriere zu unterstützen, aber dann, als er ihr an die Wäsche wollte, habe sie sich gegen peinliche Gesten verteidigt, es könnte zu einem Kampf gekommen sein und er könnte sie getötet haben, auf keinen Fall absichtlich, Mama, er war verrückt nach Evelyn, er könnte sie in einem Verzweiflungsanfall erdrosselt haben.
    Könnte, könnte, grölte seine Mutter, Evelyn ist

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