Bodin Lacht
Martin), wie er sich bei der Beerdigung seiner Klavierlehrerin gefühlt habe. Und Martin fragte zurück: Warum nennen Sie sie so, meine Klavierlehrerin, sie war, glaube ich, auch eine gute Freundin. Ich dachte, erwiderte Bodin, die Worte Lehrerin und Schüler könnten eure Beziehung charakterisieren, oder siehst du das anders? Ja, musste Martin zugeben, ich konnte zwar mit Evelyn über mich sprechen. Etwas sagte mir aber, dass ich für eine tiefere Freundschaft mit ihr nicht taugte, was ich suche, ist vermutlich eher eine tiefe Freundschaft zu einem Mann, etwas, was mir noch nie gegeben war. Gerade als er das sagte, wünschte er sich aber in das vertraute Verhältnis zurück: Evelyn und er auf der Zweierbank sitzend und Mozart spielend, sie kritisch und belustigt zugleich. Wie gern hätte er die Zeit zurückgedreht, auch um den Nachmittag in Düsseldorf anders zu gestalten, er in der Rolle des Zuhörers, des Fragenden. Und wie gern hätte er über sein schlechtes Gewissen mit Bodin gesprochen. Leider war dieser in einen Redefluss gekommen, den man nicht unterbrechen konnte, denn er erzählte jetzt selbst von Evelyn, als hätte er zu lange die Worte unter Verschluss gehalten, jetzt sprudelten sie nur so aus ihm heraus: Er habe sie zwei Mal bei Martins Mutter erlebt, sagte er, bei zwei Partys von Paula, und sei sofort von dieser jungen Frau bezaubert gewesen. Er habe mit dem Gedanken geflirtet, bei ihr Klavierstunden zu nehmen, es gehörte sich nicht, er habe das absolute Ungehör (er lachte dümmlich stolz auf seinen Neologismus), wollte sich nicht lächerlich machen, hielt sich noch an einem Rest Würde fest, aber, sagte er, ich kann mir gut vorstellen, wie die Nähe dieses jungen Körpers, die Wärme ihrer Hand an meiner, die Kraft ihres Spiels, die sie an den Tasten entlang bis in meine Finger vermittelt hätte, mich umgewandelt hätten, manchmal braucht der Mensch solche Zauberstunden, um seinen Weg mit neuen Kräften weiterzugehen. Bodin nuschelte und Martin verstand zuerst »Zauberstuben«, musste ihn wiederholen lassen, aber einen Augenblick lang stellte er sich eine Zauberstube mit Evelyn als Gegenstück zu der Baracke mit den Schlangen seines Traumes vor. Ihre sinnliche Sanftheit hätte ihn erleuchtet und seine Intelligenz so geschärft, dass er klar in seine Seele gesehen hätte, so klar, dass es keine Zweifel mehr über seine Wünsche und Lebensform gegeben hätte. Bodin erzählte noch, wie schön er sich mit Evelyn bei diesen zwei Partys über allerlei Sachen unterhalten hatte. Er bildete sich wohl ein, Martin vom Inhalt dieser Unterhaltung zu berichten, in Wahrheit beschrieb er aber die Art, wie Evelyn in ein Kaviartörtchen biss, wie sich ihre Lippen beim Sprechen bewegten und wie hell und klar ihre Stimme klang, als erzeugte jede ihrer Silben Klang und Licht. Klang und Licht, mein Junge, sagte er, in ihrer rhythmischen Verwandtschaft, ein Engel steigt ins singende Licht. Ich sehe schon, Martin, du findest mich peinlich. Ach was, Sie haben sich in Evelyn verknallt, sagte Martin gütig, die Sie angeblich nur zwei Mal gesehen haben, so etwas kann doch alten Menschen passieren. Und Bodin lachte sein Mephistolachen: Verknallt? Verliebt? Wovon sprichst du denn, Martin? Aber nein, ich verliebe mich nicht so schnell, ich alter Knacker! Das sagen Sie, versetzte Martin, gerade alte Knacker wie Sie verlieben sich in junge Frauen. Martin, du musst noch lernen, verbrauchte Kategorien mitsamt deiner ausgeleierten Klischeesammlung in den Gedankenmüll zu schmeiÃen, entgegnete der alte Fuchs, den Martin auf einmal nicht mehr riechen konnte (nur weil er ihm eine Lektion erteilen wollte?), jeder Mensch, alt wie jung, sucht nach einem Licht im Tunnel. Und was machen Sie, fragte Martin, wenn Sie ein Licht im Tunnel gefunden haben? Stellen Sie einen Altar davor, tragen Sie die Kerze aus dem Tunnel heraus? Oder ⦠Ach Martin, unterbrach der Fuchs, ich sehe doch, wohin du mich bringen willst, ich soll gestehen, dass ich das Licht am Ende des Tunnels ausgelöscht habe? Plumper Junge, du musst noch Fortschritte machen. Warst du nicht verliebt in Evelyn? Dass Bodin sich ihm wieder zuwandte und »plumper Junger« mit einer Art Zärtlichkeit betonte, machte ihn sofort dankbar (Er erinnerte sich, dass er mit zwölf Jahren zwischen ihm und seiner Mutter gelegen hatte). Ich kann mich nicht verlieben, sagte der plumpe Junge, als Mann
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