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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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und zufrieden sein? Wie konnte jemand, der hier nicht geboren war, zwischen diesen verschneiten Bergen und diesem stürmischen Fluss seine Lebenserfüllung finden? Reichten für das Glück Sport und Natur aus? Sicher gab es Freunde, Fernsehen, vielleicht Bücher. Ein Lesekreis mit dem Schullehrer und alten Intellektuellen, die sich in diese raue Landschaft verliebt hatten und hier stecken geblieben waren. Gab es hier überhaupt einen Internetanschluss?
    Der Bus hielt auf dem kleinen Dorfplatz. Bodin lief die paar malerischen Straßen ab und musste betroffen feststellen: Die wenigen Hotels und Pensionen waren alle geschlossen. November war noch keine Saison. Unterwegs traf er nur drei alte, plaudernde Männer, die ihm einen Gruß grummelten. Er stand da wie ein Esel vor dem Berg und spürte die Blicke hinter seinem Rücken, als er eine kleine Bäckerei erblickte und schnell betrat, der einzige Laden, der geöffnet war, und der, wie er sah, auch noch weitere Lebensmittel verkaufte. Er erklärte, dass er für einige Tage ein Zimmer suche, ob die Dame wisse, an wen er sich wenden könne? Die Bäckerin war eine pummelige Frau mit roten Pausbäckchen, die ein Schweizerdeutsch sprach, das Bodin nur schlecht verstand, sie lächelte freundlich und rief sofort eine Bekannte an, die, sagte sie, Zimmer vermiete, eigentlich nur in den Schulferien, vielleicht würde sie aber eine Ausnahme machen. Ja, er hatte Glück, die Wirtin komme gleich in die Bäckerei, um ihn abzuholen. Sie heiße Christine Suter. Christine? Bodins Herzschlag beschleunigte sich auf hundert. Sie hier? Herr Doktor Bodin? Christine, sind Sie das? Wirklich? Und sie: Mein Gott, wie kommen Sie hierher? Er würde natürlich den wahren Grund seiner Anwesenheit in dieser Gegend nicht verraten. Er würde sagen, er sei im Ruhestand und habe schon immer die Schweiz besser kennenlernen wollen, seitdem er sie dahin geschickt habe, und ja, es stimmt, Christine, Sie hatten mir vor vielen Jahren eine schöne Ansichtskarte geschickt, ach, sehen Sie, welche Streiche der Zufall einem spielt, nein, Christine, bleiben wir ernst, welche Zufälle unser Unbewusstes uns unterjubelt, ja, sicher hatte ich im Hinterkopf, in der kleinsten Dunkelkammer des Hinterkopfs, eine vage Erinnerung an diesen Ortsnamen, wünschte mir seit Ihrer Ansichtskarte schon insgeheim, Sie zu besuchen, Sie in Ihrem neuen Glück zu erleben, mein Gott, Christine, wie viele Jahre ist es her? Und sie würden sich freuen, durcheinander sprechen, zu viele Dinge auf einmal erzählen, die letzten acht Jahre, ein ganzes Leben. Christine würde der Bäckerin begeistert erzählen, er sei ein alter Bekannter aus ihrer Geburtsstadt, was für ein Zufall, niemals hätten sie beide gedacht, dass sie einander irgendwann wieder treffen würden, die beiden Frauen sprechen von Vorsehung und Glück. Die Bäckerin hält nichts von Zufällen, sie glaubt an Schicksal, an Unabwendbarkeit.
    Auf einmal erschöpft, machte er es sich auf einem Stuhl bequem, die Beine vor sich hingestreckt, sah wieder den hypnotischen Strudel des Flusses im Tal, ließ nur mit Mühe die Augen offen. Er gab sich einen Ruck und sagte der Bäckerin: Sie wohnen in einer sehr schönen Gegend. Die Frau schnitt eine Grimasse: Ja, aber am Ende der Welt. Man fühlt sich hier manchmal von Gott verlassen, vor allem im November. Er wiederholte schmunzelnd: Von Gott verlassen? War das nicht seine Vorbestimmung, dass er in einem gottverlassenen Dorf landet? Es gab aber keinen Gott, da war er sich mit Freud einig, und daher gab es auch kein von Gott verlassenes Dorf. Höchstens ein internetfreies Dorf.

FELD 41: RÜCKSPIEGEL
    Da die Anordnung der Durchsuchung durch den Richter naturgemäß ohne vorherige Anhörung des Betroffenen erfolgt, handelt es sich bei dieser um einen Durchsuchungsbeschluss. Den Begriff des Durchsuchungsbefehls kennt die StPO dagegen nicht. Dieser ist möglicherweise die Erfindung von Drehbuchschreibern in Eile.
Im wirklichen Leben könnte unser Verdächtiger den Fernsehkommissar mit seinem Durchsuchungsbefehl also ruhig ignorieren – bis dieser mit einem Durchsuchungsbeschluss wieder auftaucht.
    W EBSITE S TEFANIE K RÄTZSCHEL, Rechtsanwältin
    Sie hatten ihr befohlen, mitzufahren. Andreas saß am Steuer, neben ihm der Richter, Herr Doktor Lange, der bekannt war für seine Wortkargheit und gelangweilt durch das Seitenfenster

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