Boerewors und Chardonnay: Ein Jahr in Südafrika
Lukas, der direkt auf eine Gruppe von Gästen zusteuert, die er kennt: KehlTech-Mitarbeiter und ihre Frauen. Schon am Ende der kurzen Vorstellungsrunde habe ich alle Namen vergessen und muss später erneut nachfragen, aber das scheint niemanden zu stören. Lee-Anne, die südafrikanische Frau von Theo, spaziert schon bald mit Max auf dem Arm durch den Garten, und Sonia, eine Walliserin französischer Muttersprache, wechselt sich mit Petra ab beim Erzählen von Erlebnissen als Auslandschweizer. Mit ihren langen schwarzen Haaren, den dunklen, schwarzumrandeten grossen Augen und der kühn gebogenen Nase sieht Sonia nicht unbedingt aus wie die typische Schweizerin. Auch ihr lebhaftes Temperament, das sich unter anderem in wildem Gestikulieren äus-sert, passt bestens in wärmere Gefilde. Die Geschichten, die sie
erzählt, handeln nicht selten vom Ausgehen und enden praktisch immer mit anhaltendem, tiefkehligem Gelächter. Petra dagegen ist hoch aufgeschossen und etwas rundlich, was ihr die gewagte Aura einer Walküre gibt. Vielleicht hat dieser Eindruck aber auch damit zu tun, dass sie ausserordentlich laut redet. Und zwar, im Gegensatz zu Sonia, mit Vorliebe über Familie, Heim und Herd. Sie muss eine Mitarbeiterin oder zumindest eine begeisterte Leserin des Magazins „Good Housekeeping“ sein, das ich in den Zeitschriftenregalen gesehen habe. Verstohlen überprüfe ich ihre Fingernägel auf allfällige Hinweise darauf, dass sie ihren Garten selber bestellt, statt wie alle anderen einen Gärtner zu beschäftigen. Negativ, die Nägel sind perfekt. Zumindest eine Maniküre leistet sich Petra also. Vorurteile rächen sich rasch, für den Rest des Abends fühle ich mich mit meinen schief geschnittenen und auf unregelmässige Längen gestutzten Fingernägeln so fehl am Platz, dass ich versuche, unauffällig auf meine Hände zu sitzen und mein Glas vorsichtshalber nicht mehr anrühre.
Am nächsten Morgen, es ist Sonntag, vermeldet Lukas’ Telefon um zehn Uhr eine SMS: „Um 13 Uhr treffen wir uns im Rhino and Lion Park zum braai . Kommt Ihr auch? Petra und Heinz“. Lukas ruft Heinz an und fragt nach einer Wegbeschreibung, während ich im Eiltempo unsere Jungs ankleide und meine Fingernägel einigermassen auf Zack bringe. Dann wühlen wir uns durch unseren temporären Haushalt und packen ein, was sich zum Picknicken und braai eignet – Heinz hat uns erklärt, das sei das südafrikanische Wort für Grillen. Und nach einem Abstecher in den Supermarkt, der in Südafrika praktischerweise auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet ist, sind wir unterwegs zum Park.
Dieser ist viel grösser als der Lion Park, in dem wir letzte Woche waren, und es hat auch grössere Tiere, zum Beispiel Büffel, Nashörner und Säbelantilopen. Die Raubtiere - Löwen, Geparde und Wildhunde - werden in Gehegen gehalten. Spektakulär ist ihre Fütterung, die wir miterleben: Die Wildhunde laufen schon Minuten vor der Fütterung ganz hysterisch im Gehege herum und lassen ihr hohes, seltsames Winseln hören. Bei den Löwen parkieren wir unser Auto, wie alle anderen, um eine grosse Wiese. Dort stehen die Tiere bereit und blicken gespannt auf den Feldweg, auf dem der bakkie mit dem Fleisch auftauchen wird. Dieser rast im vollen Karacho auf die Wiese zu, und die Wildhüter, in Südafrika Ranger genannt, müssen das Kunststück vollbringen, in voller Fahrt die Kuhhälften vom Wagen zu werfen. Weshalb sie nicht gemütlich fahren und anhalten können, wird uns in dem Moment klar, als zwei Löwen versuchen, auf den fahrenden bakkie zu springen und sich schon mal eine Vorspeise zu sichern. Obwohl es klar ist, dass die Tiere nicht in freier Wildbahn leben, ist das Spektakel doch sehr beeindruckend.
Nach der Fütterung treffen wir Petra und Heinz am Picknickplatz. Sie haben sich eins der kleinen Grill-Häuschen ausgesucht und sind schon eingerichtet: Klapptisch und Campingstühle sind aufgestellt, und im Grill wird die Holzkohle angezündet. Heinz ist ein dunkelhaariger Hüne, zu dem die lässigen Buschhosen und das karierte Hemd prima passen. Seine Frau Petra und er liegen altersmässig wahrscheinlich leicht südlich der vierzig, wie wir, aber ihre Kinder Luca, Lea und Lars sind einiges älter als unsere beiden Jungs. Tim strahlt wie ein Honigkuchenpferd, dass er endlich wieder einmal schweizerdeutsch sprechen kann mit anderen Kindern. Schon sind die vier unterwegs, um sich die Schlangen anzugucken.
„Dieser Mini-Grill, das ist doch eher was für Warmduscher.
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