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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Beleidigung eines Adeligen zur Zahlung von fünfzehn Rubeln verurteilt hätte, hä-hä-hä!«
    »O ja, ich kann Ihnen das Geheimnis unserer neuen Gerichte enthüllen.« Der dritte geriet außer sich: »Hast du gestohlen oder betrogen, hat man dich in flagranti ertappt und überführt, dann lauf nach Hause, so schnell du kannst, und bring deine eigene Mutter um. Im Handumdrehen wirst du freigesprochen, und die Damen winken vom Balkon mit Batisttüchlein; wahr und wahrhaftig!«
    »Wahr und wahrhaftig!«
    Es ging auch nicht ohne Anekdoten ab. Man erinnerte an Nikolaj Wsewolodowitschs Beziehungen zum Grafen K. Die strengen, einzelgängerischen Ansichten des Grafen K. über die letzten Reformen waren bekannt. Bekannt war auch sein bemerkenswerter Tatendrang, der in der jüngsten Zeit allerdings ein wenig gedämpft erschien. Und plötzlich stand über alle Zweifel erhaben fest, daß Nikolaj Wsewolodowitsch mit einer der Töchter des Grafen K. verlobt sei, obgleich es nie den geringsten Anlaß zu einer solchen Annahme gegeben hatte. Was aber irgendwelche mirakulösen Schweizer Abenteuer und Lisaweta Nikolajewna betraf, so unterließen es sogar die Damen, sie auch nur zu erwähnen. Wir müssen an dieser Stelle en passant bemerken, daß die Drosdows zu eben diesem Zeitpunkt alle bisher versäumten Besuche nachgeholt hatten. Lisaweta Nikolajewna war nunmehr für alle ein ganz durchschnittliches junges Mädchen, das mit seinen angegriffenen Nerven »posiere«. Ihre Ohnmacht am Ankunftstag Nikolaj Wsewolodowitschs wurde jetzt schlicht und einfach durch den Schrecken erklärt, den sie angesichts der abscheulichen Handlung des Studenten empfunden haben mußte. Alles, was man früher bewußt in ein phantastisches Licht getaucht hatte, wurde nun betont prosaisch begründet; und ein hinkendes weibliches Wesen war endgültig vergessen, es war peinlich, daran auch nur zu rühren. »Und wenn es hundert solcher Hinkenden gäbe – wir waren ja alle einmal jung!« Man hielt Nikolaj Wsewolodowitschs Ehrerbietigkeit gegen seine Mutter dagegen, klaubte seine mannigfachen Tugenden zusammen, erwähnte wohlwollend seine Gelehrsamkeit, die er sich in vier Jahren an deutschen Universitäten angeeignet hätte. Artemij Pawlowitschs Verhalten wurde endgültig als taktlos verurteilt: »Er kam zu den Seinigen, und die Seinigen nahmen ihn nicht auf«; Julija Michajlowna aber wurde endgültig höchster Scharfblick attestiert.
    So kam es, daß Nikolaj Wsewolodowitsch, als er sich endlich in der Gesellschaft zeigte, von allen mit naivstem Ernst empfangen wurde und daß in allen auf ihn gerichteten Blicken die ungeduldigste Erwartung zu lesen war. Nikolaj Wsewolodowitsch hüllte sich sogleich in denkbar strengstes Schweigen, womit er allen einen weit größeren Gefallen tat, als wenn er drei Körbe voll geredet hätte. Mit einem Wort, alles glückte ihm, und er kam in Mode. Wenn man sich auch nur einmal in der Gesellschaft einer Gouvernementsstadt gezeigt hat, ist ein Rückzug ausgeschlossen. Nikolaj Wsewolodowitsch hielt sich, wie früher, an sämtliche Spielregeln des Gouvernementslebens bis in die feinsten Einzelheiten. Er wurde allgemein nicht als heiter befunden: »Der junge Mann hat einiges durchgemacht, der junge Mann ist anders als die anderen; Grund genug, nachdenklich zu sein.« Sogar sein Stolz und jene abweisende Reserve, derentwegen er bei uns vor vier Jahren so verhaßt gewesen war, wurden jetzt geachtet und geschätzt.
    Am meisten triumphierte Warwara Petrowna. Ob sie den verlorenen Hoffnungen auf Lisaweta Nikolajewna sehr nachtrauerte, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Familienstolz trug sie natürlich darüber hinweg. Eines war merkwürdig: Warwara Petrowna war plötzlich und in höchstem Grade davon überzeugt, daß Nicolas tatsächlich beim Grafen K. »gewählt« hatte, aber, und das war das Merkwürdigste, sie war davon überzeugt aufgrund von Gerüchten, die ihr, wie auch allen anderen, der Wind zugetragen hatte; und Nikolaj Wsewolodowitsch zu fragen wagte sie nicht. Zwei- oder dreimal hatte sie sich nicht beherrschen können und ihm, gleichsam im Spaß, vorgeworfen, er wäre mit ihr nicht ganz aufrichtig; Nikolaj Wsewolodowitsch hatte jedesmal gelächelt und weiter geschwiegen. Das Schweigen wurde als Zeichen des Eingeständnisses aufgefaßt. Und doch: sie konnte trotzdem die Hinkende nicht vergessen. Der Gedanke an sie lag ihr wie ein Stein auf der Brust, wie ein Alpdruck, quälte sie durch seltsame Gespenster und Ahnungen, und

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