Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
anzufangen, sonst richten Sie nur Schaden an. Wenn Sie dagegen schweigen, wird sie von selbst darauf zu sprechen kommen, und Sie werden viel mehr erfahren. Ich glaube, sie werden wieder zusammenfinden, wenn nur Nikolaj Wsewolodowitsch ohne Verzug hierherkommt, wie er es versprochen hatte.«
»Ich schreibe ihm sofort. Verhält es sich wirklich so, dann ist es kein ernsthaftes Zerwürfnis; alles dummes Zeug! Und auch Darja kenne ich durch und durch; dummes Zeug!«
»An Daschenka, ich gestehe es, habe ich mich versündigt. Es waren samt und sonders ganz gewöhnliche Unterhaltungen, noch dazu laut und deutlich. Aber das hat mich damals arg aufgeregt, meine Liebe. Und auch Lisa ist zu ihr, ich habe es selbst gesehen, genauso freundlich wie früher …«
Warwara Petrowna schrieb noch am selben Tag an Nicolas und beschwor ihn, wenigstens einen Monat früher zu kommen als versprochen. Aber trotz allem blieb ihr an dieser Geschichte einiges unklar und unverständlich. Sie überlegte den ganzen Abend und die ganze Nacht. Die Ansichten “dieser Praskowja” hielt sie für einfältig und sentimental. “Diese Praskowja ist ihr Leben lang überempfindsam gewesen, schon im Pensionat”, dachte sie. “Nicolas ist nicht jemand, den die Hänseleien eines jungen Mädchens in die Flucht schlagen. Es muß ein anderer Grund sein, falls es wirklich ein Zerwürfnis gegeben hat. Dieser Offizier jedenfalls ist hier, den haben sie mitgebracht, und er wohnt als Verwandter in ihrem Haus. Und auch wegen Darja hat sie sich gar zu schnell reumütig gezeigt: Bestimmt hat sie etwas für sich behalten, was sie nicht sagen wollte …”
Gegen Morgen reifte in Warwara Petrowna der Plan, mit einem Schlag wenigstens eine der Unklarheiten zu beseitigen – ein völlig überraschender und daher bemerkenswerter Plan. Was ging in ihrer Seele vor? Das läßt sich schwer sagen, und ich möchte auch nicht im voraus auf alle jene Widersprüche eingehen, aus denen der Plan bestand. Als Chronist beschränke ich mich lediglich darauf, die Ereignisse genau wiederzugeben, genau so, wie sie sich zugetragen haben, und es ist nicht meine Schuld, wenn sie unglaubwürdig scheinen. Jedoch bestätige ich noch einmal, daß bei Anbruch des Morgens von einem Verdacht gegen Dascha nichts geblieben war, vielmehr hatte es, um die Wahrheit zu sagen, nie einen gegeben; dazu war sie ihrer zu sicher. Schon die bloße Vorstellung, ihr Nicolas könne sich für ihre … “Darja” interessieren, wäre für sie unmöglich gewesen. Am Morgen, als Darja Pawlowna am Tisch den Tee einschenkte, beobachtete Warwara Petrowna sie lange und prüfend und sagte sich bestimmt zum zwanzigsten Mal seit dem gestrigen Tag mit voller Überzeugung:
“Alles dummes Zeug!”
Es fiel ihr nur auf, daß Dascha irgendwie müde aussah und daß sie noch stiller war als früher, noch apathischer. Nach dem Tee setzten sie sich beide, nach dem ein für allemal eingeführten Brauch, an ihre Handarbeit. Warwara Petrowna wünschte nun einen ausführlichen Bericht über ihre Eindrücke im Ausland, namentlich über Natur, Bevölkerung, Städte, Sitten, über Kunst, Industrie – über alles, was ihr aufgefallen wäre. Keine einzige Frage nach den Drosdows und über das Leben mit den Drosdows. Dascha, die an Warwara Petrownas Seite am Nähtischchen saß und ihr beim Sticken half, hatte schon eine gute halbe Stunde mit ihrer gleichmäßigen, ausgeglichenen, aber etwas schwachen Stimme erzählt.
»Darja«, fiel ihr Warwara Petrowna plötzlich ins Wort, »gibt es nichts Besonderes, was du mir vielleicht erzählen möchtest?«
»Nein, nichts!« Dascha hatte einen Augenblick lang überlegt und sah Warwara Petrowna mit ihren klaren Augen an.
»Nichts, was du auf dem Herzen, auf dem Gewissen, auf der Seele hast?«
»Nichts!« wiederholte Dascha leise, aber mit irgendwie düsterer Entschiedenheit.
»Ich wußte es ja! Du mußt wissen, Darja, daß ich niemals an dir zweifeln werde. Jetzt bleibst du sitzen und hörst zu. Setz dich dahin, auf diesen Stuhl, ich will dich genau sehen. So ist es gut. Also hör zu: Willst du heiraten?«
Dascha antwortete mit einem langen fragenden Blick, aber nicht allzu verwundert.
»Warte, sag nichts. Erstens ist da der Altersunterschied, und der ist beträchtlich, aber du weißt ja besser als jede andere, daß das dummes Zeug ist. Du bist verständig, und in deinem Leben soll es keine Fehler geben. Übrigens ist er noch ein schöner Mann … Kurz, es ist Stepan Trofimowitsch, den
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