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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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(es versteht sich, daß Stepan Trofimowitsch sie gratis unterrichtete, er hätte um nichts auf der Welt von den Drosdows ein Honorar angenommen). Er aber verliebte sich in das reizende Kind und trug ihr ganze Poeme über die Entstehung des Weltalls vor, über die Erde und die Geschichte der Menschheit. Seine Lektionen über die Urvölker und die Urmenschen waren unterhaltender als arabische Märchen. Lisa, die bei diesen Erzählungen vor Spannung verging, pflegte zu Hause Stepan Trofimowitsch außerordentlich komisch zu imitieren. Das kam ihm zu Ohren, und einmal überraschte er sie auf frischer Tat. Beschämt flog Lisa ihm in die Arme und brach in Tränen aus. Stepan Trofimowitsch desgleichen, vor lauter Begeisterung. Aber Lisa reiste bald ab, und Dascha blieb allein zurück. Als die Lehrer zu Dascha ins Haus kamen, stellte Stepan Trofimowitsch seinen Unterricht ein, und nach einer Weile beachtete er sie überhaupt nicht mehr. So verging geraume Zeit. Eines Tages, sie war bereits siebzehn, entdeckte er überrascht, wie liebreizend sie war. Das geschah bei Tisch in Warwara Petrownas Haus. Er sprach das junge Mädchen an, war mit ihren Antworten sehr zufrieden und machte zum Schluß den Vorschlag, ihr einen gründlichen und umfassenden Überblick über die Geschichte der russischen Literatur zu vermitteln. Warwara Petrowna begrüßte den ausgezeichneten Einfall und bedankte sich, Dascha war begeistert. Stepan Trofimowitsch traf besondere Vorbereitungen für seine Lektionen, und endlich war es soweit. Man begann mit der ältesten Periode, die erste Lektion verlief glänzend; Warwara Petrowna war anwesend. Als Stepan Trofimowitsch geendet hatte und seiner Schülerin beim Hinausgehen ankündigte, daß er beim nächsten Mal mit der Betrachtung des » Igor-Liedes « beginnen werde, erhob sich Warwara Petrowna plötzlich und verkündete, daß weitere Lektionen nicht stattfinden würden. Stepan Trofimowitsch war sichtlich getroffen, aber er schwieg, Dascha wurde flammend rot; wie dem auch sei – damit endete das Projekt. Das geschah genau drei Jahre vor Warwara Petrownas letzter überraschender Eingebung.
    Der arme Stepan Trofimowitsch saß einsam zu Hause und ahnte nichts. In traurige Gedanken versunken, blickte er hin und wieder durchs Fenster und hielt Ausschau nach einem Besucher. Aber niemand wollte ihn besuchen. Draußen nieselte es, es wurde kühl; man hätte heizen lassen müssen; er seufzte. Da bot sich seinen Augen eine furchtbare Erscheinung dar: Warwara Petrowna bei diesem Wetter und zu so ungewöhnlicher Stunde auf dem Weg zu ihm! Und auch noch zu Fuß! Er war so verblüfft, daß er es unterließ, sich umzukleiden, und empfing sie so, wie er war, in seiner unvermeidlichen wattierten rosa Hausjacke.
    »Ma bonne amie! …«, rief er ihr mit schwacher Stimme entgegen.
    »Sie sind allein, das ist mir recht: Ich kann Ihre Freunde nicht ausstehen! Sie rauchen immer so viel; mein Gott, was ist das hier für eine Luft! Und Ihren Tee haben Sie auch noch nicht ausgetrunken, dabei ist es bald zwölf Uhr mittags! Sie kennen keine größere Seligkeit als die Unordnung! Sie genießen den Schmutz! Was sind das für Papierfetzen auf dem Boden? Nastassja, Nastassja! Wo steckt Ihre Nastassja? Mach doch die Fenster auf, meine Gute, Kappfenster, Türen – alles weit auf! Wir beide gehen in den Salon; ich habe mit Ihnen zu reden, ernsthaft zu reden. Und du, meine Gute, kannst doch wenigstens einmal im Leben hier ausfegen!«
    »Aber der Herr werfen alles auf den Boden!« piepste Nastassja weinerlich und beleidigt.
    »Dann mußt du eben fegen, fünfzehnmal am Tag fegen!«
    »Sie haben einen schäbigen Salon« (beim Betreten des Salons). »Ziehen Sie die Tür fest zu, sie wird horchen. Hier muß unbedingt neu tapeziert werden. Ich habe Ihnen doch den Tapezierer mit den Mustern geschickt, warum haben Sie nichts ausgesucht? Setzen Sie sich, und hören Sie mir zu. Setzen Sie sich doch endlich, ich bitte Sie. Wo wollen Sie hin? Wo wollen Sie hin? Wo wollen Sie hin!«
    »Ich bin … gleich da!« rief Stepan Trofimowitsch aus dem anderen Zimmer. »Da bin ich wieder!«
    »Ach so, Sie haben sich umgekleidet!« Sie musterte ihn spöttisch. (Er hatte einen Gehrock über die Hausjacke gestreift.) »Das wird in der Tat zu … zu unserer Unterhaltung passen. So setzen Sie sich doch endlich, ich bitte Sie.«
    Sie erklärte ihm alles in einem Atemzug, kurz und bündig, spielte auch auf die achttausend Rubel an, deren er so dringend bedurfte.

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