Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
allgemein bekannt, daß der frühe Mensch in seiner Angst vor Blitz und Donner den unsichtbaren Feind zum Gott erhob, weil er vor ihm der eigenen Schwäche sich bewußt wurde. Aber worauf geht das Vorurteil der Familie zurück? Wie entstand die Familie als solche?«
»Das ist nicht ganz dasselbe …« Die Gastgeberin versuchte abzulenken.
»Ich nehme an, daß eine Antwort auf diese Frage unschicklich ist«, antwortete Stawrogin.
»Wieso?« ereiferte sich die Studentin.
Aber in der Gruppe der Lehrer ließ sich ein Kichern vernehmen, am anderen Tischende stimmten Ljamschin und der Gymnasiast ein und schließlich auch mit heiserem Gelächter der Major, der Verwandte.
»Sie sollten Vaudevilles schreiben«, bemerkte die Gastgeberin zu Stawrogin.
»Darauf brauchen Sie sich nichts einzubilden … ich weiß nicht, wie Sie heißen«, fauchte die Studentin in hellstem Zorn.
»Und du mußt dich nicht vordrängen!« polterte der Major. »Du bist eine junge Dame, du mußt dich zurückhalten, aber du führst dich auf, als hättest du dich auf eine Nadel gesetzt.«
»Schweigen Sie gefälligst, und unterstehen Sie sich, mich so vertraulich mit Ihren ekelhaften Vergleichen anzusprechen. Ich sehe Sie heute zum ersten Mal im Leben und will von einer Verwandtschaft überhaupt nichts wissen!«
»Aber ich bin doch dein Onkel; du warst noch ein Säugling, ich habe dich auf meinen Armen herumgetragen!«
»Was geht es mich an, wen Sie auf Ihren Armen herumgetragen haben! Ich hatte Sie damals nicht daraum gebeten, also muß es Ihnen, mein unmanierlicher Herr Offizier, damals Vergnügen bereitet haben. Und erlauben Sie mir zu bemerken, daß Sie mich nicht duzen dürfen, es sei denn als Bürger, ich verbiete es Ihnen ein für allemal.«
»So sind sie alle!« Der Major schlug mit der Faust auf den Tisch und wandte sich dabei an Stawrogin, der ihm gegenübersaß. »Nein, nein, erlauben Sie, ich liebe den Liberalismus und das Zeitgemäße, und ich höre gern bei klugen Unterhaltungen zu. Aber eines muß ich sagen: nur unter Männern. Aber unter Weibern, aber unter den heutigen albernen Ziegen, da muß ich danken! Das paßt mir nicht! Du sollst nicht so zappeln!« schrie er die Studentin an, die kaum noch ruhig sitzen konnte.
»Nein, jetzt bitte ich ums Wort, man hat mich beleidigt.«
»Sie stören nur die anderen, aber selbst können Sie nichts sagen«, murmelte die Gastgeberin aufgebracht.
»Doch, ich werde schon sagen, worum es mir geht«, ereiferte sich der Major, wobei er sich an Stawrogin wandte. »Ich rechne dabei auf Sie, Herr Stawrogin, als jemand, der neu dazugekommen ist, obwohl ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen. Ohne uns Männer sterben sie einfach wie die Fliegen – das ist meine Meinung. Die ganze Frauenfrage ist nichts als Mangel an Originalität. Ich versichere Ihnen, daß diese ganze Frauenfrage bestimmt einem Männerkopf entsprungen ist, aus purer Dummheit, zum eigenen Schaden – Dank dem Allmächtigen, daß ich nicht verheiratet bin! Nicht die geringste Abwechslung, nicht einmal ein simples Stickmuster können sie sich ausdenken; auch die Stickmuster für sie werden von Männern entworfen! Hier, bitte, ich habe sie auf meinen Armen getragen, habe mit ihr als Zehnjähriger Mazurka getanzt, und heute kommt sie hier an, natürlich will ich sie in die Arme nehmen, aber sie erklärt mir schon mit dem zweiten Wort, daß es keinen Gott gibt. Hätte sie es doch wenigstens erst nach dem dritten und nicht schon nach dem zweiten getan – aber nein, sie hat’s eilig! Zugegeben, kluge Köpfe, die glauben nicht an Gott, aber das kommt daher, weil sie klug sind, und du, sag’ ich, du Göre, was verstehst du von Gott? All das hat dir doch irgendein Student beigebracht, aber wenn er dir beigebracht hätte, das Ewige Licht vor der Ikone anzuzünden, dann hättest du es angezündet.«
»Das ist alles gelogen, Sie sind ein sehr böser Mensch, und ich habe Ihnen vorhin Ihre geistige Insolvenz bewiesen«, entgegnete die Studentin geringschätzig, als hielte sie es für unter ihrer Würde, sich mit einem solchen Menschen länger zu unterhalten. »Ich habe Ihnen vorhin erklärt, daß wir alle aus dem Katechismus lernen mußten: ›Wenn du deinen Vater und deine Eltern ehrst, dann wirst du lange leben und zu Reichtum kommen.‹ Das steht in den Zehn Geboten. Wenn Gott es nötig hat, für die Liebe eine Belohnung in Aussicht zu stellen, dann muß Ihr Gott unmoralisch sein. Mit diesen Worten habe ich es Ihnen vorhin bewiesen,
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