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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Das war jener Tichon, von dem Nikolaj Wsewolodowitsch zuerst von Schatow gehört und über den er seitdem einige Erkundigungen eingezogen hatte.
    Die Ergebnisse dieser Erkundigungen waren sehr unterschiedlich und widersprüchlich, stimmten aber auch irgendwie überein, und zwar hatten Tichons Freunde und Feinde (denn es gab auch solche) nicht viel über ihn zu sagen – die einen, die ihn nicht liebten, wahrscheinlich aus Geringschätzung, die anderen, seine Anhänger, selbst die überzeugtesten unter ihnen, aus einer gewissen Zurückhaltung heraus, als ginge es ihnen darum, eine Schwäche von ihm, vielleicht sein » Jurodstwo «, zu verheimlichen. Nikolaj Wsewolodowitsch erfuhr, daß er bereits seit sechs Jahren im Kloster lebe und daselbst sowohl von ganz einfachem Volk als auch von Personen aus höchsten Kreisen aufgesucht werde; daß er sogar in dem fernen Petersburg glühende Verehrer, vor allem aber Verehrerinnen habe. Dagegen hörte er von einem würdigen greisen Clubmitglied, noch dazu einem frommen Kirchgänger, daß »dieser Tichon fast ein Verrückter ist, jedenfalls eine völlig unbegabte Kreatur und zweifellos ein Säufer«. Ich für mein Teil möchte vorgreifend bemerken, daß letzteres barer Unsinn ist, daß es sich bei ihm um eine verschleppte rheumatische Erkrankung in den Beinen und um zeitweise auftretende nervöse Krämpfe handelte. Ferner erfuhr Nikolaj Wsewolodowitsch, daß der zur Ruhe gesetzte Bischof entweder wegen seines schwachen Charakters oder einer »unentschuldbaren und mit seiner Würde unvereinbaren Zerstreutheit« es nicht verstanden hätte, sich hier, im Kloster, besonderes Ansehen zu verschaffen. Man erzählte, daß der Erzabt, ein harter Mann von strengster Pflichterfüllung, der überdies für seine Gelehrsamkeit bekannt war, ihm gegenüber sogar irgendwie feindselige Gefühle hege und ihn (nicht ins Gesicht, sondern auf Umwegen) einer nachlässigen Lebensführung und beinahe schon der Häresie beschuldigte. Auch die Klosterbrüder behandelten die leidende Eminenz wenn nicht ausgesprochen nachlässig, so doch sozusagen familiär. Die zwei Räume, aus denen Tichons Zelle bestand, waren auch irgendwie merkwürdig eingerichtet. Neben klobigen alten Möbeln mit abgeschabten Lederbezügen standen ein paar hochelegante Stücke: ein kostbarer bequemer Sessel, ein großer, wundervoll gearbeiteter Schreibtisch, ein schöngeschnitzter Bücherschrank, Tischchen, Etageren – alles Geschenke. Ein wertvoller Buchara und daneben Bastmatten. Stiche »weltlichen« und mythologischen Inhalts, aber in der Ecke ein großer Heiligenschrein mit von Gold und Silber schimmernden Ikonen, darunter eine uralte mit Reliquien. Die Bibliothek wäre, wie es hieß, ebenfalls allzu wahllos und gegensätzlich zusammengestellt: neben Werken großer Heiliger und Märtyrer der Christenheit ständen Theaterstücke und »vielleicht noch Schlimmeres«.
    Nach den ersten Begrüßungsworten, die aus irgendeinem Grunde von beiden Seiten sichtlich gehemmt, eilig und sogar undeutlich vorgebracht wurden, führte Tichon den Gast in sein Arbeitszimmer, bot ihm den Platz auf dem Sofa hinter dem Tisch an und ließ sich in einem danebenstehenden Korbsessel nieder. Nikolaj Wsewolodowitsch wirkte immer noch sehr zerstreut, es war eine innere, ihn überwältigende Erregung. Es schien, als habe er einen Entschluß gefaßt, der etwas Außerordentliches und Bedingungsloses, aber gleichzeitig für ihn nahezu Unmögliches darstellte. Etwa eine Minute lang sah er sich in dem Zimmer um, offenbar ohne das Gesehene wahrzunehmen, er dachte über etwas nach und wußte nicht, was es war. Die Stille ließ ihn zu sich kommen, und plötzlich glaubte er, daß Tichon irgendwie verschämt und sogar mit einem unangebrachten komischen Lächeln die Augen niederschlüge. Dies erregte augenblicklich seinen Widerwillen, er wollte aufstehen und weggehen, um so mehr, als seiner Meinung nach Tichon entschieden betrunken war. Plötzlich jedoch hob dieser die Augen und sah ihn mit einem so festen und gedankenvollen Blick, mit einem so unerwarteten und rätselhaften Ausdruck an, daß er beinahe zusammenfuhr. Auf einmal glaubte er, daß Tichon bereits wisse, weswegen er gekommen wäre, daß jemand ihn schon gewarnt habe (obgleich auf der ganzen Welt niemand diesen Grund kennen konnte) und daß er nur aus Rücksicht, aus Furcht, ihn zu demütigen, nicht als erster zu sprechen anfange.
    »Kennen Sie mich?« stieß er plötzlich hervor. »Habe ich mich Ihnen

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