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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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ihm wäre plötzlich und unvermutet gänzlich verschwunden. Er scheute sich nicht, jene Furcht offen zu zeigen, die ihn erfaßte, sobald er von seinem Gesicht zu sprechen begann. Doch alles dauerte nur einen Augenblick und verschwand ebenso unvermittelt, wie es gekommen war.
    »Das ist alles dummes Zeug«, sagte er gleichsam aufwachend, ärgerlich und verlegen, »ich werde einen Arzt aufsuchen.«
    »Das sollten Sie unbedingt tun«, pflichtete Tichon bei.
    »Sie sagen das so bestimmt … Haben Sie schon jemanden gesehen, so wie mich, mit solchen Gesichten?«
    »Ich habe es schon gesehen, aber sehr selten. Ich erinnere mich nur noch an einen einzigen solchen Fall in meinem Leben, einen Berufsoffizier, nach dem Tod seiner Gattin, seiner unersetzlichen Lebensgefährtin. Und von einem anderen habe ich nur gehört. Beide wurden im Ausland geheilt … Leiden Sie schon lange daran?«
    »Etwa seit einem Jahr. Aber das ist alles dummes Zeug. Ich werde einen Arzt aufsuchen. Das ist alles dummes Zeug, schrecklich dummes Zeug. Das bin ich ja selbst in verschiedener Gestalt, weiter nichts. Nachdem ich diese … diese Phrase hinzugefügt habe, werden Sie gewiß denken, daß ich noch immer zweifle und noch nicht überzeugt sei, daß ich es bin und nicht doch ein böser Geist?«
    Tichon sah ihn fragend an.
    »Und … Sie sehen ihn wirklich?« fragte er, jeden Zweifel daran ausschließend, daß es sich zweifellos um eine trügerische und krankhafte Halluzination handele. »Sehen Sie in der Tat eine bestimmte Gestalt?«
    »Merkwürdig, daß Sie immer noch fragen, obwohl ich Ihnen schon sagte, daß ich sie sehe.« Stawrogins Gereiztheit nahm mit jedem Wort zu. »Selbstverständlich sehe ich ihn. Ich sehe ihn ebenso, wie ich jetzt Sie sehe … manchmal sehe ich ihn und glaube nicht, daß ich ihn sehe, während ich ihn sehe … und manchmal glaube ich nicht, daß ich ihn sehe, und ich weiß auch nicht, was wirklich ist: ich oder er … All das ist dummes Zeug. Können Sie sich denn überhaupt nicht vorstellen, daß es tatsächlich ein böser Geist ist?« fügte er lachend hinzu, indem er allzu rasch einen spöttischen Ton anschlug. »Das würde doch besser zu Ihrem Beruf passen?«
    »Eher eine Krankheit, obwohl …«
    »Obwohl …?«
    »Obwohl es zweifellos böse Geister gibt, auch wenn die Vorstellungen von ihnen sehr unterschiedlich sein können.«
    »Sie haben gerade deshalb die Augen niedergeschlagen«, fiel Stawrogin spöttisch und gereizt ein, »weil Sie sich für mich schämen, daß ich an einen bösen Geist glaube, aber unter dem Vorwand, ich glaubte es nicht, die hinterlistige Frage an Sie richte: Gibt es ihn tatsächlich oder nicht?«
    Tichon lächelte unbestimmt.
    »Und wissen Sie, das paßt überhaupt nicht zu Ihnen, daß Sie die Augen niederschlagen: unnatürlich, lächerlich und manieriert. Aber um meine Grobheit wettzumachen, möchte ich Ihnen ernst und dreist sagen: Ich glaube an einen bösen Geist, ich glaube an ihn kanonisch, an ihn als Person und nicht als Allegorie, und ich bin nicht darauf angewiesen, wen auch immer nach ihm zu fragen, das ist alles. Sie werden sich darüber wohl schrecklich freuen …«
    Er lachte nervös und gezwungen. Tichon sah ihn neugierig an, mit einem milden und irgendwie schüchternen Blick.
    »Sie glauben an Gott?« entfuhr es plötzlich Stawrogin.
    »Ja, ich glaube.«
    »Es steht doch geschrieben, wenn man glaubt und zu dem Berg sagt, daß er sich von hinnen hebe, so wird er sich von hinnen heben … Übrigens, dummes Zeug. Aber ich möchte trotzdem gerne wissen: Können Sie einen Berg versetzen oder nicht?«
    »So Gott mir befiehlt, werde ich ihn versetzen«, sagte Tichon leise und zurückhaltend, indem er von neuem die Augen senkte.
    »Nun, das wäre ja dasselbe, wie wenn Gott es selber täte. Nein, es geht um Sie, Sie selbst, als Lohn für Ihren Glauben?«
    »Vielleicht werde ich ihn auch nicht versetzen.«
    »›Vielleicht‹? Nicht schlecht. Wieso zweifeln Sie?«
    »Ich glaube unvollkommen.«
    »Wie? Sie und unvollkommen? Nicht gänzlich?«
    »Ja … Vielleicht, und auch in Unvollkommenheit.«
    »Na! Jedenfalls glauben Sie, daß Sie mit Gottes Hilfe den Berg versetzen werden, und das ist doch nicht wenig. Immerhin mehr als das très peu eines anderen Erzbischofs, wenn auch angesichts eines gezückten Säbels. Sie sind natürlich Christ?«
    »Deines Kreuzes, Herr, laß mich nicht unwürdig sein.«
    Tichon flüsterte fast, leidenschaftlich, und senkte den Kopf noch tiefer.

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