Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Ihnen Lisa. Wollen Sie Lisa, morgen schon?«
“Ist er vielleicht wirklich übergeschnappt?” Stawrogin lächelte. Die Haustür ging auf.
»Stawrogin, ist Amerika unser?« fragte Werchowenskij und packte ihn zum letzten Mal bei der Hand.
»Wozu?« fragte Nikolaj Wsewolodowitsch ernsthaft und streng.
»Keine Lust, das wußte ich!« rief Werchowenskij, von unendlichem Zorn übermannt. »Sie lügen! Sie elendes, verhurtes, kaputtes Herrensöhnchen, das nehme ich Ihnen nicht ab, Sie haben doch den Appetit eines Wolfs! … Sie müssen begreifen, daß Ihre offene Rechnung jetzt zu hoch ist und daß ich unmöglich auf Sie verzichten kann! Auf der ganzen Welt ist kein zweiter wie Sie zu finden! Ich habe Sie mir schon im Ausland ausgedacht; ich habe Sie mir ausgedacht, sobald ich Sie sah. Hätte ich Sie nicht aus meinem Winkel beobachtet, wäre mir nie so etwas in den Sinn gekommen! …«
Stawrogin stieg, ohne zu antworten, die Treppe hinauf.
»Stawrogin!« schrie ihm Werchowenskij nach. »Ich gebe Ihnen einen Tag … meinetwegen zwei … nein, drei Tage Zeit; mehr als drei kann ich nicht geben, aber dann – Ihre Antwort!«
[Neuntes Kapitel]
Bei Tichon
I
NIKOLAJ Wsewolodowitsch schlief in dieser Nacht nicht und saß die ganze Zeit auf dem Sofa, wobei er den starren Blick häufig auf einen Punkt in der Ecke neben der Kommode richtete. Die ganze Nacht brannte bei ihm die Lampe. Gegen sieben Uhr morgens schlief er im Sitzen ein, und als Alexej Jegorowitsch, nach dem ein für allemal eingeführten Brauch, Punkt halb zehn mit einer Tasse Kaffee eintrat und ihn durch sein Erscheinen weckte, schien er, als er die Augen aufschlug, unangenehm überrascht, daß er so lange hatte schlafen können und daß es schon so spät war. Hastig trank er den Kaffee, hastig kleidete er sich an und verließ eilig das Haus. Auf Alexej Jegorowitschs vorsichtige Frage, ob es denn »keine Befehle« gebe, antwortete er nicht. Auf der Straße ging er mit zu Boden gerichtetem Blick, tief in Gedanken versunken, und nur, wenn er plötzlich den Kopf hob, zeigte sich an ihm eine unbestimmte, aber heftige Unruhe. An einer Ecke, noch nicht weit von seinem Haus entfernt, kreuzte ein Trupp Männer seinen Weg, es mochten fünfzig oder mehr sein; sie gingen ruhig, fast schweigend und in geordnetem Zug. Vor dem Laden, wo er etwa eine Minute warten mußte, sagte jemand, das seien »Schpigulinsche Arbeiter«. Er nahm sie kaum wahr. Endlich, es war gegen halb elf, erreichte er das Tor unseres Spasso-Jefimjewskij-Bogorodskij-Klosters, am Stadtrand, über dem Fluß. Da erst schien ihm plötzlich etwas einzufallen. Er blieb stehen, tastete hastig und beunruhigt nach seiner Seitentasche und – lächelte. Er trat durch das Klostertor und fragte den ersten Klosterdiener, der ihm entgegenkam, wie er zu Bischof Tichon, der sich hier im Kloster zur Ruhe gesetzt habe, gelangen könne. Der Klosterdiener verneigte sich mehrmals und ging ihm sogleich voraus. An einer kleinen Außentreppe am Ende des langgestreckten zweistöckigen Zellengebäudes stießen sie auf einen beleibten grauhaarigen Mönch, der sogleich den Klosterdiener gebieterisch wegschickte und Stawrogin durch einen langen schmalen Gang geleitete, ebenfalls unter fortgesetzten Verneigungen (wobei er allerdings wegen seines Leibesumfangs auf tiefe Bücklinge verzichten und sich darauf beschränken mußte, immer wieder ruckartig zu nicken), und ihn unaufhörlich aufforderte, ihm doch zu folgen, was er ohnehin tat. Der Mönch fragte wiederholt irgend etwas und sprach von dem Vater Archimandrit ; da er keine Antwort erhielt, wurde er immer ehrerbietiger. Stawrogin merkte, daß man ihn kannte, obwohl er, soweit er sich erinnern konnte, nur als Kind hiergewesen war. Als sie die Tür am Ende des Korridors erreicht hatten, öffnete sie der Mönch, als sei er dazu befugt, fragte vertraulich den herbeieilenden Zellendiener, ob man eintreten dürfe, riß, sogar ohne die Antwort abzuwarten, die Tür weit auf, forderte mit einer Verneigung den »teuren« Besucher auf einzutreten und verschwand, nachdem Stawrogin sich bei ihm bedankt hatte, geradezu fluchtartig. Nikolaj Wsewolodowitsch betrat ein nicht besonders großes Zimmer, und fast im selben Augenblick erschien in der Tür zum Nebenraum ein großgewachsener, hagerer Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, in einem einfachen häuslichen Leibrock, von etwas kränklichem Aussehen, mit einem unbestimmten Lächeln und einem seltsamen, irgendwie schüchternen Blick.
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