Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sind sicherlich darüber unterrichtet, Stepan Trofimowitsch«, fuhrt Julija Michajlowna voller Begeisterung fort, »daß uns morgen der Genuß zuteil wird, die zauberhaften Zeilen zu hören … eine der letzten, vollkommensten Inspirationen Semjon Jegorowitschs, mit dem Titel ›Merci‹. In dieser Pièce tut er kund, daß er nicht mehr zu schreiben gewillt ist, um keinen Preis der Welt, nicht einmal, wenn ein Engel vom Himmel oder, besser gesagt, die ganze höhere Gesellschaft ihn beschwören würde, seinen Entschluß zurückzunehmen. Mit einem Wort, er legt die Feder endgültig aus der Hand, und mit diesem graziösen Merci wendet er sich an das Publikum zum Dank für die anhaltende Begeisterung, mit der es so viele Jahre seinen unermüdlichen Dienst an der ehrlichen russischen Idee begleitet hat.«
Julija Michajlowna war auf dem Gipfel der Seligkeit angelangt.
»O ja, ich nehme Abschied; ich sage Merci und breche auf … um dort … in Karlsruhe … meine Augen für ewig zu schließen.« Nach und nach zerfloß Karmasinow vor Rührung.
Gleich vielen unserer großen Schriftsteller (und wir haben sehr viele große Schriftsteller) war er gegen Lob nicht gefeit und begann sofort zu zerfließen, ungeachtet seines Scharfsinns. Aber ich halte das für verzeihlich. Man erzählt, daß einem unserer Shakespeares in einem privaten Gespräch entschlüpft sein soll, daß »wir, die Großen, nicht anders können, als …«, und so weiter, und er habe es nicht bemerkt.
»Dort, in Karlsruhe, werde ich die Augen schließen. Wir, die Großen, müssen, wenn unsere Aufgabe erfüllt ist, baldigst die Augen schließen, ohne auf Lohn zu warten. Und so werde auch ich handeln.«
»Geben Sie mir Ihre Adresse, und ich werde Sie in Karlsruhe in Ihrem Grab besuchen.« Der Deutsche lachte wieder unmäßig.
»Jetzt werden auch Leichen mit der Eisenbahn verschickt«, warf unerwartet einer der unbedeutenden jungen Leute ein.
Ljamschin quietschte förmlich vor Begeisterung. Julija Michajlowna runzelte die Brauen. Da trat Nikolaj Stawrogin ein.
»Ich hörte, man hätte Sie auf das Revier gebracht?« fragte er laut, indem er sich an Stepan Trofimowitsch als ersten wandte.
»Nein, das war nur ein revidierbarer Zwischenfall.« Stepan Trofimowitsch antwortete mit einem Wortspiel.
»Aber ich hoffe, daß er keinerlei Einfluß auf meine Bitte haben wird«, griff Julija Michajlowna abermals ein, »ich hoffe, daß Sie ungeachtet dieser mißlichen Angelegenheit, von der ich bis zum Augenblick nicht die geringste Ahnung hatte, unsere höchsten Erwartungen nicht enttäuschen und uns nicht den Genuß vorenthalten werden, Ihrem Vortrag bei der literarischen Morgenfeier zu lauschen.«
»Ich weiß nicht, ich … jetzt …«
»Wirklich, ich bin so unglücklich, Warwara Petrowna … Ausgerechnet jetzt, stellen Sie sich vor, da ich so danach dürstete, sobald wie möglich einen der hervorragendsten und unabhängigsten russischen Köpfe persönlich kennenzulernen, ausgerechnet jetzt äußert Stepan Trofimowitsch seine Absicht, sich von uns zurückzuziehen.«
»Ich werde so laut gelobt, daß ich es eigentlich überhören sollte«, sagte Stepan Trofimowitsch prononciert, »aber ich glaube nicht, daß meine unbedeutende Anwesenheit morgen bei Ihrem Fest so unentbehrlich … Übrigens würde ich …«
»Er wird ja von Ihnen verwöhnt!« rief Pjotr Stepanowitsch, der eilig in den Salon hereingelaufen kam. »Kaum habe ich ihn an die Kandare genommen, und plötzlich, an einem einzigen Vormittag – Haussuchung, Verhaftung, ein Polizist packt ihn am Kragen, und jetzt hätscheln ihn die Damen im Salon des Gouverneurs! Jetzt muß in ihm doch jedes Knöchelchen vor Wonne jubeln; eine solche Benefizvorstellung hat er sich nicht einmal träumen lassen. Nun kann er getrost Sozialisten denunzieren!«
»Ausgeschlossen, Pjotr Stepanowitsch. Der Sozialismus ist ein zu großer Gedanke, als daß es Stepan Trofimowitsch nicht bewußt wäre«, trat Julija Michajlowna energisch für Stepan Trofimowitsch ein.
»Der Gedanke ist groß, aber seine Vertreter sind nicht immer Riesen; mais brisons là, mon cher «, schloß Stepan Trofimowitsch, indem er sich an seinen Sohn wandte und sich sehr eindrucksvoll von seinem Platz erhob.
Da aber ereignete sich etwas völlig Unerwartetes. Von Lembke hatte sich bereits seit einiger Zeit im Salon aufgehalten, von keinem beachtet, obwohl alle gesehen hatten, wie er eingetreten war. Julija Michajlowna, die an ihrem früheren Vorsatz
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