Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zum letzten Augenblick war sie überzeugt, daß sie ein »Gefolge« habe und daß man ihr immer noch »fanatisch ergeben« sei.
Ich erwähnte bereits, daß bei uns allerlei Gelichter aufgetaucht war. In den wirren Zeiten des Schwankens oder eines Übergangs taucht überall und immer allerlei Gelichter auf. Ich meine nicht die sogenannten »Progressiven«, denen es immer um den Vorsprung (ihre Hauptsorge) zu tun ist und die oft zwar ein hoffnungslos törichtes, aber immerhin ein mehr oder weniger bestimmtes Ziel vor Augen haben. Nein, ich meine nur das Gesindel. In jeder Zeit des Übergangs steigt dieses Gesindel, das zu jeder Gesellschaft gehört, an die Oberfläche und zwar nicht nur ohne jedes Ziel, sondern auch ohne die leiseste Spur einer Idee, bloß als Ausdruck und Verkörperung der Unruhe und der Ungeduld. Im Laufe der Zeit gerät dieses Gesindel, ohne es selbst zu merken, fast immer unter das Kommando jener wenigen »Progressiven«, die mit einem bestimmten Ziel operieren und die diesen ganzen Abschaum lenken, wohin es ihnen beliebt, wenn sie nur selbst nicht ausgemachte Idioten sind, was übrigens keine Seltenheit ist. Jetzt, da schon alles vorbei ist, wird bei uns behauptet, daß Pjotr Stepanowitsch von der Internationale gelenkt worden sei und Julija Michajlowna von Pjotr Stepanowitsch, und Julija Michajlowna habe auf dessen Kommando allerlei Gesindel angeführt. Die gesetzteren unter unsern Köpfen wundern sich jetzt über sich selbst: Wie war es nur möglich, daß sie damals plötzlich versagt haben? Worin unsere Wirren damals bestanden und wohin der Übergang bei uns führen sollte, ich weiß es nicht und glaube, daß es niemand weiß, einige zugereiste Gäste ausgenommen. Indessen gewann dieses miese Gelichter plötzlich die Oberhand, es begann alles Heilige lauthals zu kritisieren, während es früher nicht gewagt hätte, auch nur den Mund aufzutun, und die Menschen der ersten Reihe, die bis dahin unangefochten zu sagen hatten, fingen auf einmal an, ihm zu lauschen und selbst den Mund zu halten und gelegentlich auf die schändlichste Weise unterwürfig zu kichern. Ljamschin, Teljatnikow, Gutsbesitzer à la Tentetnikow , hausbackene Rotzbengel à la Radischtschew , leidvoll, aber arrogant lächelnde kleine Juden, durchreisende Spaßvögel, Dichter mit einer aus der Metropole importierten »Richtung«, Dichter, die Talent und Richtung durch Bauernmäntel und Schmierstiefel ersetzten, Majore und Obristen, die über die Sinnlosigkeit ihres Ranges lachten und jederzeit bereit waren, für einen Rubel mehr ihren Degen abzuschnallen und als Schreiber zur Eisenbahn überzulaufen; Generäle, die zu den Advokaten überwechselten, strebsame Agenten, aufstrebende Kaufleute, zahllose Seminaristen, Frauen, die die Frauenfrage zu verkörpern glaubten – dies alles gewann bei uns plötzlich uneingeschränkt die Oberhand, und über wen? Über den Club, über ehrwürdige Amtsträger, über Generäle mit Holzbein, über unsere strengste und uneinnehmbarste Damenwelt. Wenn schon Warwara Petrowna bis zu der Katastrophe mit ihrem Sohn für dieses Gesindel fast das Laufmädchen spielte, so muß man unseren übrigen Minerven ihre damalige Blindheit wenigstens teilweise nachsehen. Jetzt wird alles, wie bereits erwähnt, der Internationale zur Last gelegt. Diese Idee hat so fest Wurzeln gefaßt, daß man sie sogar den herbeiströmenden Fremden auftischt. Erst kürzlich hat der Rat Kubrikow, zwei- undsechzig und den Stanislaw am Hals, sich unaufgefordert gemeldet und mit bewegter Stimme angegeben, daß er ganze drei Monate lang zweifelsohne unter dem Einfluß der »Internationale« gestanden hätte. Als man ihn, mit gebotener Rücksicht auf sein Alter und seine Verdienste, aufforderte, sich ausführlicher zu erklären, war er zwar außerstande, irgendwelche Beweise vorzubringen, außer der »Empfindung all seiner Gefühle«, blieb aber nicht weniger unerschütterlich bei seiner Selbstanzeige, so daß man nicht länger in ihn drang.
Ich wiederhole noch einmal: Es hatte sich auch bei uns eine Handvoll vorsichtiger Personen erhalten, die sich von Anfang an zurückgezogen und sogar verschanzt hatten, aber welche Schanze hält einem Naturgesetz stand? Auch in den vorsichtigsten Familien wachsen junge Damen heran, die unbedingt tanzen müssen. Und nun hatten alle diese Personen am Ende sich doch für die Gouvernanten eingetragen. Der Ball sollte unvorstellbar glanzvoll werden; man erzählte sich Wunderdinge; man raunte von
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