Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
diesem Vormittag nirgendwo blicken ließ. Und nebenbei darauf hinweisen, daß Warwara Petrowna, nachdem sie die Gäste empfangen hatte, mit ihnen in die Stadt zurückgefahren war, um dort an der letzten Sitzung des Festkomitees teilzunehmen. Natürlich mußten sie die Neuigkeiten, die Ljamschin über Stepan Trofimowitsch berichtete, ebenfalls lebhaft interessieren, vielleicht sogar in Aufregungen versetzen.
Die Abrechnung mit Andrej Antonowitsch begann unverzüglich. Leider fühlte er dies schon beim ersten Blick auf seine unvergleichliche Gattin. Mit offener Miene und bezauberndem Lächeln ging sie rasch auf Stepan Trofimowitsch zu, hielt ihm ihre reizend behandschuhte Rechte entgegen und überschüttete ihn mit den schmeichelhaftesten Komplimenten – als hätte sie an diesem Vormittag keine andere Sorge gehabt, als auf Stepan Trofimowitsch zuzueilen und ihn mit Freundlichkeiten und Liebenswürdigkeiten dafür zu überhäufen, daß er sich endlich in ihrem Hause zeigte. Keine einzige Andeutung über die am Morgen stattgefundene Hausdurchsuchung – als wäre sie völlig ahnungslos. Kein einziges Wort an ihren Mann, keinen einzigen Blick in seine Richtung – als wäre er überhaupt nicht im Saal. Noch mehr, sie nahm Stepan Trofimowitsch sofort und widerspruchslos für sich in Beschlag und führte ihn weiter in den Salon – als hätten zwischen ihm und Lembke keinerlei Auseinandersetzungen stattgefunden oder als wären sie eine Fortsetzung nicht wert. Ich wiederhole noch einmal: Ich glaube, daß Julija Michajlowna, ungeachtet ihres hochfahrenden Tones, jetzt einen weiteren und noch schwereren Fehler beging. Vollends bestärkt wurde sie darin von Karmasinow (der an dem Ausflug auf ausdrückliche Bitte Julija Michajlownas teilgenommen und auf diese Weise, wenn auch nur mittelbar, den Besuch bei Warwara Petrowna endlich nachgeholt hatte, was diese in ihrem Kleinmut in helles Entzücken versetzte). Noch in der Tür (er trat als einer der letzten ein) stieß er beim Anblick Stepan Trofimowitschs einen Begrüßungsruf aus, womit er sogar Julija Michajlowna unterbrach, und ging mit offenen Armen auf ihn zu.
»Lang, lang ist’s her! Endlich … Excellent ami!«
Er machte Anstalten, Stepan Trofimowitsch zu küssen, und hielt ihm, wie gewohnt, die Wange hin. Der völlig verwirrte Stepan Trofimowitsch fühlte sich genötigt, diese zu küssen.
»Cher«, sagte er zu mir bereits am Abend, als er auf den vergangenen Tag zurückblickte, »in jener Minute dachte ich: Wer von uns ist der Gemeinere? Er, der mich umarmt, um mich zu demütigen, oder ich, der ich ihn samt seiner Wange verachte und sie dennoch küsse, obwohl ich mich hätte abwenden können … Pfui!«
»Erzählen Sie, erzählen Sie alles!« flötete Karmasinow, als hielte er für möglich, daß man ihm fünfundzwanzig Jahre Leben ohne weiteres erzählen würde. Aber diese dümmliche Leichtfertigkeit gehörte zum »hochvornehmen« Ton.
»Sie erinnern sich, daß wir uns zum letzten Mal in Moskau gesehen haben, bei einem Essen, zu Ehren Granowskijs , und daß seitdem vierundzwanzig Jahre ins Land gegangen sind …«, begann Stepan Trofimowitsch durchaus vernünftig (also keineswegs im »hochvornehmen« Ton).
»Ce cher homme«, unterbrach ihn Karmasinow schrill und familiär, wobei er ihn viel zu vertraulich mit der Hand an der Schulter packte, »aber führen Sie uns doch sobald wie möglich in Ihren Salon, Julija Michajlowna, er wird sich dort hinsetzen und alles erzählen.«
»Und dabei stand ich mit diesem reizbaren alten Weib niemals in engerer Beziehung«, fuhr Stepan Trofimowitsch fort, sich zu beklagen, am selben Abend, wobei er vor Wut zitterte, »wir waren damals beinahe noch Jünglinge, und schon damals begann ich ihn zu hassen … Ebenso wie er mich, verständlicherweise …«
Julija Michajlownas Salon hatte sich schnell gefüllt. Warwara Petrowna war in besonders aufgeregter Stimmung, obwohl sie sich bemühte, gleichgültig zu erscheinen, aber ich fing zwei oder drei ihrer Blicke auf, haßerfüllte auf Karmasinow und zornige auf Stepan Trofimowitsch – zornig schon im voraus, zornig aus Eifersucht und aus Liebe: Wenn Stepan Trofimowitsch sich dieses Mal eine Blöße geben und Karmasinow Gelegenheit bieten würde, ihn vor aller Welt zu blamieren, dann wäre sie, glaube ich, sofort aufgesprungen und mit Fäusten auf ihn losgegangen. Ich vergaß zu erwähnen, daß auch Lisa anwesend war, die ich noch nie so fröhlich, so sorglos, so heiter und
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