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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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beleidigen, und ersparen Sie mir diesen Ärger.«
    Eine furchtbare Herausforderung klang in diesen Worten, das verstanden alle. Die Beschuldigung war eindeutig, wenn sie auch vielleicht für Lisa selbst überraschend kam. Es war so, wie wenn ein Mensch die Augen fest zudrückt und dann vom Dach springt.
    Aber die Antwort Nikolaj Stawrogins war noch verblüffender.
    Erstens war schon die Tatsache erstaunlich, daß er sich nicht im geringsten wunderte und Lisa mit größter Gelassenheit anhörte. Sein Gesicht ließ weder Verlegenheit noch Zorn erkennen. Einfach, bestimmt und sogar mit dem Ausdruck größter Bereitwilligkeit beantwortete er die verhängnisvolle Frage:
    »Jawohl, ich habe das Unglück, ein Verwandter dieses Menschen zu sein. Ich bin der Mann seiner Schwester, einer geborenen Lebjadkina, und dieses seit bald fünf Jahren. Seien Sie versichert, daß ich Ihre Aufforderung alsbald übermitteln werde und dafür einstehe, daß er Sie nicht länger belästigen wird.«
    Niemals werde ich das Entsetzen vergessen, das sich auf dem Gesicht Warwara Petrownas zeigte. Langsam, wie von Sinnen, erhob sie sich von ihrem Stuhl und streckte wie abwehrend den rechten Arm vor sich aus. Nikolaj Wsewolodowitsch sah sie an, sah Lisa, sah die Versammelten an und lächelte plötzlich mit grenzenlosem Hochmut; ohne Eile verließ er das Zimmer. Alle haben gesehen, wie Lisa vom Sofa aufsprang, sobald Nikolaj Wsewolodowitsch sich zum Gehen wandte, und ihm zweifellos nachlaufen wollte, sich aber besann und ihm nicht nachlief, sondern langsam aus dem Zimmer ging, ebenfalls ohne eine Silbe zu sagen oder jemanden anzusehen, selbstverständlich begleitet von Mawrikij Nikolajewitsch, der ihr nacheilte …
    Über das Gerede und den Klatsch in der Stadt an diesem Abend brauche ich kein Wort zu verlieren. Warwara Petrowna schloß sich in ihrem Stadthaus ein, Nikolaj Wsewolodowitsch aber soll direkt nach Skworeschniki gefahren sein, ohne seine Mutter aufzusuchen. Stepan Trofimowitsch schickte mich am Abend mehrmals zu »cette chère amie«, um für ihn die Erlaubnis zu erflehen, bei ihr vorsprechen zu dürfen, aber ich wurde nicht vorgelassen. Er war furchtbar betroffen und weinte. »Eine solche Ehe! Eine solche Ehe! Ein solches Unglück für die Familie«, wiederholte er jeden Augenblick. Karmasinow jedoch hatte er nicht vergessen und beschimpfte ihn kräftig. Energisch bereitete er sich auf den morgigen Vortrag vor – eben eine Künstlernatur! –, er bereitete sich vor dem Spiegel vor und vergewisserte sich seiner sämtlichen Witze und Calembours, die er zeit seines Lebens in ein eigens dazu bestimmtes Heft notiert hatte, um sie morgen beim Vortrag zu verwenden.
    »Mein Freund, ich tue es um der großen Idee willen«, sagte er zu mir, offensichtlich um sich zu rechtfertigen. »Cher ami, ich habe mich von einer fünfundzwanzigjährigen Stelle gelöst und mich plötzlich auf den Weg gemacht, wohin – das weiß ich nicht, aber ich habe mich auf den Weg gemacht …«

Dritter Teil
    Erstes Kapitel
    Das Fest. Der Anfang
    I
    DAS Fest fand statt, ungeachtet aller Bedenklichkeiten des vergangenen »Schpigulinschen« Tages. Ich glaube, das Fest hätte, selbst wenn Lembke in dieser Nacht gestorben wäre, am nächsten Vormittag trotzdem stattgefunden – eine so außerordentliche Bedeutung maß ihm Julija Michajlowna bei. Leider wiegte sie sich bis zum letzten Augenblick in Verblendung und ahnte nichts von der Stimmung der Gesellschaft. Am Ende glaubte niemand mehr, der feierliche Tag könne ohne einen kolossalen Zwischenfall verstreichen, ohne »die Lösung aller Rätsel«, wie manche, sich im voraus die Hände reibend, es ausdrückten. Viele allerdings setzten eine überaus finstere und politische Miene auf; aber im allgemeinen gibt es nichts, was der russische Mensch so vergnüglich findet wie gesellschaftliche Skandale und Konfusionen. Freilich, bei uns lag noch etwas anderes in der Luft, das wesentlich ernster war als die bloße Skandalsucht: eine allgemeine Spannung, etwas unersättlich Boshaftes; man hatte den Eindruck, alle wären alles entsetzlich leid. Ein allgemeiner unsicherer Zynismus machte sich breit, ein angestrengter Zynismus, den man sich selbst gleichsam abringen mußte. Allein die Damen waren nie unsicher, freilich nur in einem einzigen Punkt: in ihrem erbarmungslosen Haß gegen Julija Michajlowna. In diesem Punkt trafen sich sämtliche unter den Damen herrschenden Meinungen. Und sie, die Ärmste, war völlig ahnungslos; bis

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