Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
meiner »Krankenwärterin« bestimmt – das ist Ihr Ausdruck; warum so vieles opfern? Begreifen Sie auch, daß ich kein Mitleid mit Ihnen habe, wenn ich Sie rufe, und nicht achte, wenn ich Sie erwarte. Indessen rufe ich und erwarte. Jedenfalls brauche ich eine Antwort von Ihnen, weil ich sehr bald fahren muß. In diesem Falle fahre ich allein.
Ich hoffe nichts von Uri; ich fahre einfach. Ich habe nicht absichtlich diesen finsteren Ort gewählt. In Rußland bin ich nicht gebunden – hier ist mir alles ebenso fremd wie überall. Freilich, in Rußland habe ich noch weniger gern gelebt als irgendwo anders; aber sogar hier konnte ich nichts hassen!
Ich habe überall meine Kraft erprobt. Sie haben mir dazu geraten, »um sich selber kennenzulernen«. Wenn ich sie im stillen erprobte oder auch zur Schau, erwies sie sich, wie auch früher, mein ganzes Leben lang, unbegrenzt. Vor Ihren Augen nahm ich die Ohrfeige Ihres Bruders hin; ich habe meine Ehe öffentlich bekannt. Aber wie ich diese Kraft anwenden soll – das habe ich niemals gesehen, sehe es auch jetzt nicht, trotz Ihrer Ermunterungen in der Schweiz, denen ich glaubte. Ich kann immer noch, wie früher, wünschen, Gutes zu tun, und empfinde dabei Vergnügen; unmittelbar darauf wünsche ich auch Böses und empfinde ebenso Vergnügen. Aber immer noch ist das eine wie das andere Gefühl viel zu klein und ist niemals sehr. Meine Wünsche sind viel zu kraftlos; sie können nicht leiten. Auf einem Balken kann man über den Fluß setzen, auf einem Holzspan nicht. Das nur, damit Sie nicht glauben, ich fahre nach Uri mit irgendwelchen Hoffnungen.
Nach wie vor beschuldige ich niemand. Ich habe es mit großen Ausschweifungen versucht und meine Kräfte darin erschöpft; aber ich wollte keine Ausschweifungen, und ich mag sie nicht. Sie haben mich in der letzten Zeit beobachtet. Wissen Sie, daß ich sogar die verneinenden Unsrigen haßte, weil ich ihnen ihre Hoffnungen neidete? Aber Sie sorgten sich umsonst: Ich konnte nicht einer ihresgleichen sein, weil ich nichts teilte. Und bloß zum Spott, aus Bosheit, konnte ich auch nicht, und zwar nicht, weil ich mich vor Lächerlichkeit fürchtete – auch Lächerlichkeit erschreckt mich nicht –, sondern weil ich immerhin die Gewohnheiten eines anständigen Menschen habe und mich davor ekele. Aber wenn ich sie mehr gehaßt und beneidet hätte, so könnte sein, daß ich mit ihnen gegangen wäre. Urteilen Sie selbst, ob ich es leicht hatte und wieviel ich hin und her stürzte!
Liebe Freundin, zartes und großherziges Wesen, das ich erkannt habe! Vielleicht träumen Sie davon, mir soviel Liebe zu schenken und soviel Schönes aus Ihrer schönen Seele über mich auszugießen, daß Sie hoffen, dadurch mir endlich ein Ziel aufzurichten? Nein, sind Sie lieber vorsichtig: Meine Liebe wird ebenso klein sein wie ich selbst und Sie unglücklich. Ihr Bruder sagte mir: Wer die Verbindung mit seiner Heimat verliert, der verliert auch seine Götter, das heißt alle seine Ziele. Über alles kann man endlos streiten, aus mir aber ergoß sich nichts als Negativität, ohne jede Großherzigkeit und Kraft. Und nicht einmal Negativität. Alles an mir ist seicht und welk. Der großherzige Kirillow ertrug seine Idee nicht und – erschoß sich; ich aber sehe, daß er deshalb großherzig war, weil er nicht bei Verstand war. Ich kann niemals den Verstand verlieren und niemals im gleichen Maße an eine Idee glauben wie er. Ich kann nicht einmal im gleichen Maße mich mit einer Idee beschäftigen. Niemals, niemals kann ich mich erschießen!
Ich weiß, daß ich mich töten muß, mich wie ein gemeines Insekt von der Erde fegen; aber ich fürchte mich vor dem Selbstmord, weil ich mich fürchte, großherzig zu scheinen. Ich weiß, daß das eine weitere Täuschung wird – die letzte Täuschung in einer unendlichen Folge von Täuschungen. Was nutzt es, sich selbst zu täuschen, nur, um den Großherzigen zu spielen? Entrüstung und Scham kenne ich nicht; folglich auch keine Verzweiflung.
Entschuldigen Sie, daß ich so viel schreibe. Ich komme wieder zu mir, es war unversehens. In dieser Art sind hundert Seiten zu wenig und zehn Zeilen mehr als genug. Zehn Zeilen sind mehr als genug, wenn man nach einer »Krankenwärterin« ruft.
Ich wohne, seit ich abreiste, beim Vorsteher der sechsten Eisenbahnstation. Ich lernte ihn vor fünf Jahren während der wilden Zeit in Petersburg kennen. Keiner weiß, daß ich dort wohne. Schreiben Sie an seinen Namen. Adresse liegt

Weitere Kostenlose Bücher