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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wütend hervor.
    »Das ist aber des Guten doch zuviel«, lachte ich.
    »Und Sie – Sie sind ein ›gemäßigter Liberaler‹«, Schatow lächelte ebenfalls. »Wissen Sie«, fuhr er plötzlich fort, »ich habe mit dem ›Lakaiendenken‹ möglicherweise danebengegriffen; Sie werden mir bestimmt sofort entgegnen: ›Du bist es doch, der einen Lakaien zum Vater hat, ich bin kein Lakai.‹«
    »Ich hatte nicht im geringsten vor, so etwas zu sagen … ich bitte Sie!«
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, vor Ihnen habe ich keine Angst. Damals war nur mein Vater Lakai, und heute bin ich selbst Lakai, genau so wie Sie. Unser russischer Liberaler ist in erster Linie Lakai und wartet nur darauf, daß er jemandem die Stiefel putzen darf.«
    »Was für Stiefel? Ist das eine Allegorie?«
    »Wieso Allegorie? … Sie finden es ja lustig, wie ich sehe … Stepan Trofimowitsch hat die Wahrheit gesagt, daß ich unter einem Felsbrocken liege, zerquetscht, aber nicht tot, und mich immer noch winde; das ist ein guter Vergleich.«
    »Stepan Trofimowitsch behauptet, Sie seien an den Deutschen übergeschnappt«, lachte ich, »aber wir haben den Deutschen immerhin das eine und andere abgeguckt.«
    »Zwanzig Kopeken gewonnen und hundert Rubel verloren.«
    Fast eine Minute lang schwiegen wir.
    »Das hat er beim Herumliegen in Amerika ausgebrütet.«
    »Wer? Wer hat was ausgebrütet?«
    »Ich meine Kirillow. Wir beide haben dort vier Monate in einer Hütte nebeneinander auf dem Fußboden gelegen.«
    »Sie sind in Amerika gewesen?« wunderte ich mich. »Sie haben nie davon erzählt!«
    »Was gibt es da zu erzählen? Im vorletzten Jahr sind wir zu dritt auf einem Auswandererschiff in die Staaten gefahren, um mit unserem letzten Geld ›am eigenen Leib das Leben des amerikanischen Arbeiters zu erproben und uns von dem Zustand eines Menschen auf der untersten sozialen Stufe eine persönliche Erfahrung zu verschaffen‹. Das war der Zweck unserer Reise.«
    »Mein Gott!« Ich mußte lachen. »Sie sollten lieber irgendwo in unserm Gouvernement zur Erntezeit mithelfen, um ›eine persönliche Erfahrung zu machen‹, anstatt den kürzesten Weg über Amerika einzuschlagen!«
    »Wir verdingten uns dort als Knechte bei einem Ausbeuter; wir, die Russen, waren dort, glaube ich, insgesamt zu sechst. Studenten, sogar Gutsbesitzer, die ihre Güter verlassen hatten, es waren sogar Offiziere dabei, und alle hatten dasselbe großartige Ziel. Also haben wir dort gearbeitet, geschwitzt, uns geschunden, waren am Ende unserer Kräfte, schließlich sind Kirillow und ich gegangen – beide krank, wir haben es nicht ausgehalten. Der Ausbeuter hatte uns bei der Abrechnung betrogen, statt der verabredeten dreißig Dollar zahlte er mir acht und ihm fünfzehn aus; und geprügelt wurden wir auch mehr als einmal. Nun, und dann haben wir ohne Arbeit in einem gottverlassenen Städtchen vier Monate lang nebeneinander auf dem Fußboden verbracht; er hing seinen Gedanken nach und ich den meinen.«
    »Ist es möglich, daß der Unternehmer Sie geprügelt hat, und das in Amerika? Wie werden Sie über ihn geflucht haben!«
    »Keineswegs. Wir, Kirillow und ich, haben ganz im Gegenteil daraus sofort den Schluß gezogen, daß ›wir Russen im Vergleich mit den Amerikanern unmündige Kinder sind und daß man in Amerika geboren sein oder zumindest jahrelang unter Amerikanern gelebt haben muß, um ihr Niveau zu erreichen‹. Nicht nur das: Wenn man von uns statt einer Kopeke einen Dollar verlangte, zahlten wir nicht nur mit Vergnügen, sondern sogar mit Begeisterung. Wir lobten alles, Spiritismus, Lynchjustiz, Colts , Landstreicher. Einmal unterwegs griff mir der Nachbar in die Tasche, zog meine Haarbürste heraus und begann, sich zu frisieren; Kirillow und ich haben einander nur angesehen und gefunden, daß das gut ist und daß es uns sehr gefällt …«
    »Sonderbar, daß wir nicht nur auf solche Ideen kommen, sondern sie auch in die Tat umsetzen«, bemerkte ich.
    »Papierköpfe«, wiederholte Schatow.
    »Aber wenn man auf einem Auswandererschiff über den Ozean fährt, in ein unbekanntes Land, wenn auch nur mit dem Ziel, ›am eigenen Leibe etwas zu erproben‹ und so weiter, so liegt darin bei Gott eine Art hochherziger Entschlossenheit … Aber wie sind Sie von dort wieder weggekommen?«
    »Ich habe einem Mann in Europa geschrieben, und der hat mir hundert Rubel geschickt.«
    Wenn Schatow sprach, war sein Blick nach seiner Gewohnheit an den Boden geheftet, sogar, wenn

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