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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wenn du mit deinem Bruder zusammen bist?«
    »Meinst du Lebjadkin? Er ist mein Lakai. Mir ist es ganz gleich, ob er da ist oder nicht. Ich rufe ihm zu: ›Lebjadkin, Wasser! Lebjadkin, meine Schuhe!‹ und er rennt; manchmal kann ich nicht widerstehen und muß über ihn lachen.«
    »Und das stimmt haargenau«, wandte sich Schatow wieder laut und ohne Rücksicht zu nehmen, an mich. »Sie kommandiert ihn wie einen Lakaien; ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie sie ihm befahl: ›Lebjadkin, Wasser!‹ und dabei schallend lachte; mit dem einzigen Unterschied, daß er daraufhin, statt Wasser zu holen, sie prügelt. Aber sie hat vor ihm nicht die leiseste Angst. Sie bekommt irgendwelche Nervenanfälle, fast täglich, die ruinieren ihr Gedächtnis, nach einem solchen Anfall weiß sie nicht mehr, was vorher geschehen ist, und bringt immer die Zeiten durcheinander. Sie denken, sie weiß noch, wie wir hereingekommen sind; vielleicht weiß sie es auch noch, aber bestimmt hat sie schon alles auf ihre Weise verdreht und hält uns jetzt für ganz andere, als die wir sind, auch wenn sie noch weiß, daß ich Schatuschka bin. Es macht nichts, daß ich laut spreche; allen, die nicht mit ihr sprechen, hört sie einfach nicht mehr zu und stürzt sich sofort in ihre Träume; sie stürzt sich hinein, das ist der richtige Ausdruck. Sie ist eine Träumerin; acht Stunden, tagelang sitzt sie auf ein und derselben Stelle. Hier liegt eine Semmel, sie hat seit dem Morgen höchstens einmal davon abgebissen, und es wird ihr bis morgen reichen. Da, jetzt legt sie sich die Karten …«
    »Ich lege mir wohl die Karten, Schatuschka, ich lege mir wohl die Karten, aber es kommt nicht das Richtige heraus«, begann Marja Timofejewna plötzlich, die die letzten Worte offenbar gehört hatte, und tastete, ohne hinzuschauen, nach der Semmel (wahrscheinlich hatte sie auch das Wort Semmel gehört). Schließlich fand sie die Semmel und hielt sie eine Weile in der linken Hand, legte sie aber, durch den neuen Gesprächsgegenstand abgelenkt, wieder auf den Tisch, ohne davon abzubeißen. »Es kommt immer wieder dasselbe heraus: Reise, Verderben, Arglist, Totenbett, Brief, unverhoffte Nachricht – ich glaube, das ist alles Lug und Trug. Meinst du nicht auch, Schatuschka? Wenn schon die Menschen lügen, warum sollten die Karten nicht lügen?« Plötzlich schob sie die Karten zusammen. »Dasselbe habe ich Mutter Praskowja einmal gesagt. Sie war eine ehrwürdige Frau, und sie kam immer wieder zu mir in die Zelle, um sich die Karten legen zu lassen, heimlich vor der Mutter Äbtissin. Ja, und sie war auch nicht die einzige, die zu mir kam. Ach und ach, sie schütteln die Köpfe und reden hin und her. Ich aber lache: ›Wie sollten Sie‹, sage ich zu Mutter Praskowja, ›einen Brief bekommen, wenn seit zwölf Jahren keiner gekommen ist?‹ Sie hat eine verheiratete Tochter, die mußte mit ihrem Mann irgendwohin in die Türkei und hatte seit zwölf Jahren nichts von sich hören lassen. Da sitz’ ich also am nächsten Tag bei der Mutter Äbtissin (sie war bei uns aus fürstlichem Geschlecht) beim Abendtee, da sitzt bei ihr auch noch eine Dame von auswärts, eine große Träumerin, und da sitzt auch noch ein wanderndes Mönchlein, das kam vom Berg Athos, ein recht lustiger Mensch, meine ich. Und was glaubst du wohl, Schatuschka, hat doch dieses Mönchlein an diesem Morgen der Mutter Praskowja einen Brief von ihrer Tochter aus der Türkei gebracht – das ist eben der Karobube, die unverhoffte Nachricht! Wir trinken also Tee, und das Mönchlein vom Berg Athos sagt zur Mutter Äbtissin: ›Vor allem anderen, segensreiche Mutter Äbtissin, hat der Herr Euer Kloster dadurch gesegnet, daß Sie ein so kostbares‹, sagt er, ›Kleinod in seinem Schoß bewahren.‹ – ›Was für ein Kleinod soll das denn sein?‹ fragt die Mutter Äbtissin. ›Aber die Mutter Lisaweta doch, die in Gott Selige.‹ Diese Lisaweta, die in Gott Selige, war bei uns in die Klostermauer eingelassen, in einem Käfig von einer Saschen Länge und zwei Arschin Höhe, und so saß sie dort hinter dem Eisengitter bald siebzehn Jahre, sommers und winters, bloß mit einem hanfenen Hemd angetan, und stach immerfort, bald mit einem Strohhalm, bald mit einem Reis, in ihr Hemd, in das Zeug, und sprach nicht und kämmte sich nicht und wusch sich nicht, die ganzen siebzehn Jahre nicht. Des Winters schob man ihr einen Schafspelz durch die Gitterstäbe und jeden lieben Tag ein Krüstchen Brot und einen Becher

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