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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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ein mir nur flüchtig bekannter Herr, ein gewisser Schigaljow, der Bruder von Wirginskijs Frau.
    Dieser Schigaljow hielt sich wohl seit zwei Monaten in unserer Stadt auf; ich weiß nicht, woher er kam; ich hörte nur, er hätte in einer progressiven Petersburger Zeitschrift einen Artikel veröffentlicht. Wirginskij machte uns miteinander bekannt, als wir uns einmal zufällig auf der Straße begegneten. In meinem ganzen Leben sah ich in einem menschlichen Gesicht nicht so viel Düsteres, soviel Mißmut und Freudlosigkeit. Er sah so aus, als erwarte er den Weltuntergang, und zwar nicht irgendwann, auf Grund von Prophezeiungen, die sich nicht unbedingt bewahrheiten müssen, sondern völlig konkret, etwa übermorgen vormittag, fünfundzwanzig Minuten nach zehn. Damals hatten wir übrigens kaum ein Wort gewechselt, sondern uns mit Verschwörermiene nur die Hände geschüttelt. Am meisten beeindruckten mich seine unverhältnismäßig großen Ohren, langgezogen, breit, dick und auf besondere Weise abstehend. Seine Bewegungen waren linkisch und langsam.
    Wenn Liputin dann und wann davon träumte, die Phalanstère könne in unserm Gouvernement Wirklichkeit werden, so kannte dieser Mann bestimmt Tag und Stunde, da es geschehen würde. Auf mich machte er einen unheimlichen Eindruck; aber als ich ihn jetzt bei Schatow antraf, wunderte ich mich um so mehr, da Schatow grundsätzlich ungern Besuch empfing.
    Schon auf der Treppe konnte ich hören, daß sie sehr laut, alle drei auf einmal, redeten und anscheinend stritten; aber bei meinem Eintreten verstummten sie sofort. Sie hatten sich im Stehen gestritten, nun setzten sie sich alle plötzlich, so daß auch ich mich setzen mußte. Das peinliche Schweigen hielt gut drei Minuten an. Schigaljow hatte mich zwar erkannt, tat indessen so, als kenne er mich nicht, gewiß nicht aus Feindseligkeit, sondern einfach so. Alexej Nilytsch und ich begrüßten einander mit einer leichten Verbeugung, aber schweigend, und reichten aus irgendeinem Grunde einander nicht die Hand. Schigaljow richtete schließlich einen strengen und finsteren Blick auf mich, in der naivsten Überzeugung, ich würde plötzlich aufstehen und mich empfehlen. Schließlich erhob sich Schatow vom Stuhl, und sofort sprangen auch die anderen auf. Sie gingen, ohne sich zu verabschieden, und nur Schigaljow sagte, bereits an der Tür, zu dem sie hinausgeleitenden Schatow:
    »Vergessen Sie nicht, daß Sie uns einen Rechenschaftsbericht schuldig sind!«
    »Ihr könnt mich mit Eurem Rechenschaftsbericht, und ich bin keinem Aas etwas schuldig!« sagte Schatow zum Abschied und legte den Haken vor.
    » Lose Vögel !« Er sah mich mit einem schiefen Lächeln an.
    Der Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben, und ich wunderte mich, daß er als erster zu sprechen begann. Gewöhnlich zog er sich, wenn ich ihn besuchte (übrigens nur sehr selten), mürrisch in eine Ecke zurück, antwortete ärgerlich, belebte sich erst nach einer ziemlichen Weile, um sich dann mit Vergnügen zu unterhalten. Beim Abschied allerdings verfinsterte er sich jedesmal unweigerlich von neuem und entließ einen, als setze er seinen persönlichen Feind vor die Tür.
    »Ich habe bei diesem Alexej Nilytsch gestern Tee getrunken«, erzählte ich, »es sieht so aus, als sei er mit seinem Atheismus übergeschnappt.«
    »Der russische Atheismus ist nie über ein Calembour hinausgekommen«, knurrte Schatow, der gerade eine neue Kerze anstelle des niedergebrannten Stummels aufsteckte.
    »Nein, ihm geht es nicht um Calembours; er kann, wie mir scheint, überhaupt nicht reden, geschweige denn, Calembours machen.«
    »Papierköpfe; das kommt vom Lakaiendenken«, sagte gelassen Schatow, nachdem er sich auf einen Stuhl in der Ecke gesetzt und beide Hände auf die Knie gestützt hatte.
    »Es ist eine gute Portion Haß dabei«, fuhr er fort, nachdem er eine Minute lang geschwiegen hatte. »Sie würden als erste todunglücklich sein, wenn in Rußland plötzlich ein Wandel stattfinden würde, sogar wenn es nach ihrem Gusto ginge und das Land plötzlich unendlich reich und glücklich wäre. Dann gäbe es niemand mehr, den sie hassen, bespeien, verhöhnen könnten! Hier liegt nichts vor als tierischer, grenzenloser Haß gegen Rußland, der sich in den Organismus eingefressen hat … Und es gibt überhaupt keine für die Welt unsichtbaren Tränen unter dem sichtbaren Lachen! Nie wurde in Rußland ein verlogeneres Wort gesagt als das von den unsichtbaren Tränen«, stieß er beinahe

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