Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
verschwendete.
M lle. Lebjadkina, die ich so sehr zu sehen wünschte, saß friedlich und ohne einen Laut von sich zu geben, im zweiten Zimmer in der Ecke an einem rohen Küchentisch auf einer Bank. Sie sagte nichts, als wir die Tür öffneten, und rührte sich nicht einmal von der Stelle. Schatow sagte, ihre Tür werde niemals abgeschlossen und habe einmal die ganze Nacht hindurch sperrangelweit offen gestanden. Beim trüben Schein einer dünnen Kerze in einem Blechleuchter konnte ich eine Frau von etwa dreißig Jahren erkennen, krankhaft mager, in einem abgetragenen dunklen Kattunkleid, mit langem nacktem Hals und dünnem dunklem Haar, das im Nacken zu einem Knoten, so groß wie das Fäustchen eines zweijährigen Kindes, aufgesteckt war. Sie sah uns recht fröhlich an; außer dem Kerzenhalter befanden sich vor ihr auf dem Tisch ein kleiner Bauernspiegel, ein altes Kartenspiel, ein abgegriffenes Liederbuch und eine Semmel, von der schon ein paarmal abgebissen worden war. Es war nicht zu übersehen, daß M lle. Lebjadkina sich weiß und rot schminkte und auch die Lippen anmalte. Sie zog auch die Brauen nach, die ohnehin lang, dünn und dunkel waren. An ihrer schmalen, hohen Stirn zeichneten sich trotz der weißen Schminke drei ziemlich tiefe, lange Falten ab. Ich wußte bereits, daß sie hinkte, aber diesmal stand sie in unserer Gegenwart nicht auf und ging nicht umher. Irgendwann früher, in der ersten Jugend, mochte dieses abgezehrte Gesicht sogar hübsch gewesen sein; und auch jetzt noch fielen ihre ruhigen, freundlichen grauen Augen auf; etwas Träumerisches und Aufrichtiges leuchtete in ihrem ruhigen, beinahe freudigen Blick. Diese ruhige, stille Freude, die sich auch in ihrem Lächeln spiegelte, verwunderte mich nach allem, was ich von der Kosakenpeitsche und den übrigen Ausschreitungen ihres Herrn Bruders gehört hatte. Es war seltsam, daß ich statt des bedrückenden und sogar unheimlichen Ekels, der sich gewöhnlich in der Nähe aller von Gott ähnlich gestraften Geschöpfe einstellt, gleich in der ersten Minute bei ihrem Anblick eine fast angenehme Empfindung verspürte, und es war nur Mitleid und keineswegs Ekel, das sich in der Folge meiner bemächtigte.
»So sitzt sie eben, tagelang, buchstäblich mutterseelenallein, rührt sich nicht von der Stelle, legt sich die Karten oder schaut in den Spiegel.« Noch auf der Schwelle zeigte Schatow auf sie. »Er gibt ihr ja auch nichts zu essen. Die Alte aus dem Nebenhaus bringt ihr hin und wieder etwas um Christi willen; wie kann man sie bloß mit einer Kerze allein lassen!«
Ich wunderte mich, daß Schatow laut sprach, genau so, als wäre sie nicht im Zimmer.
»Guten Abend, Schatuschka«, sagte M lle. Lebjadkina freundlich.
»Ich habe dir, Marja Timofejewna, einen Gast mitgebracht«, antwortete Schatow.
»Nun, dem Gast soll die gebührende Ehre widerfahren. Ich weiß nicht, wen du mir mitgebracht hast, an diesen hier kann ich mich nicht erinnern.« Sie musterte mich aufmerksam hinter der Kerze hervor und wandte sich sogleich wieder an Schatow (mich beachtete sie während der ganzen Unterhaltung überhaupt nicht mehr, als säße ich gar nicht in ihrer Nähe).
»Die Zeit ist dir wohl lang geworden beim Aufundabgehen in deiner Kammer so ganz allein?« Sie lachte und zeigte dabei zwei Reihen wunderschöner Zähne.
»Die Zeit ist mir lang geworden, und ich wollte dich auch besuchen.«
Schatow rückte eine Bank an den Tisch, setzte sich und forderte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen.
»Ein Gespräch kommt mir immer recht, aber dennoch muß ich über dich lachen, Schatuschka, du bist richtig wie ein Mönch. Wann hast du dich eigentlich zuletzt gekämmt? Laß mich dich erst einmal kämmen.« Sie zog einen Kamm aus der Tasche. »Du hast wohl seit dem letzten Mal, da ich dich kämmte, keinen Kamm angerührt?«
»Ich habe gar keinen Kamm«, lachte Schatow.
»Ist das wahr? Dann will ich dir meinen schenken, nicht diesen, einen anderen, du mußt mich nur daran erinnern.«
Mit tiefernstem Gesicht begann sie ihn zu kämmen, zog sogar einen Seitenscheitel, lehnte sich zurück, begutachtete ihr Werk und steckte den Kamm wieder in die Tasche.
»Weißt du was, Schatuschka?« Sie schüttelte den Kopf. »Es mag sein, daß du ein verständiger Mann bist, aber dir wird die Zeit lang. Es kommt mir seltsam vor, wenn ich mir euch alle ansehe; ich kann nicht verstehen, warum den Menschen die Zeit lang wird. Kummer ist nicht Langeweile. Ich bin froh.«
»Bist du auch froh,
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