Böse Schafe: Roman (German Edition)
seltsamerweise bis zum letzten Loch aufgeknöpften Kleid, trank Wasser, suchte nach meinem Bademantel, der sich nicht an seinem Platz, dem Haken hinter der Zimmertür, befand. In einer Regenjacke, die ich von der Flurgarderobe gepflückt hatte, kehrte ich auf Zehenspitzen zu dir zurück, sah, daß du dich mit meinem Bademantel zugedeckt hattest, und deine großen, schmalen Füße – und dann dein Gesicht, das ganz entspannt, ja, vollkommen spannungslos war, als lägest du in Narkose. Das Kinn war dir auf die Brust gesunken, deine Lippen gaben deine gar nicht spitze, sondern seltsam breite, lappenschlappe Zungenspitze frei. Und nicht nur dein Mund stand halb offen, auch deine Lider; die von ihnen kaum verborgenen Augäpfel waren nach oben gerollt, jedenfalls so verdreht, daß nur das Weiße mich anstarrte.Seit jenem Sonntag hast du mein Leben nicht mehr verlassen, und dein Kumpel Benno tauchte nicht wieder auf. Als ich ein- oder höchstens zweimal nicht sonderlich interessiert nach ihm fragte, meintest du bloß: »Keine Ahnung, wo der abgeblieben ist.«
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VI
Am späten Vormittag fand ich trotz schweren Katers die Kraft, auf die nächste Mütze voll Schlaf zu verzichten. Ich erhob mich von der Matratze, warf meine Bettdecke über dich, nahm ein paar Sachen aus dem Schrank, ging duschen, mich anziehen, das Frühstück zubereiten.
Als ich mich gerade hingesetzt hatte, appetitlos ein viel zu mächtig geratenes Rührei mit Speck umgrub und in meine Tasse gähnte, erschienst du im Rahmen der Küchentür, hieltest fröstelnd die Revers meines Bademantels über deiner Brust zusammen, ließest dich nieder hinter dem Gedeck, das ich für dich aufgelegt hatte, und wolltest weder etwas essen noch Kaffee, nur einen Schluck Cola.
Ich fühlte mich beschissen, weil ich um diese Tageszeit und in einem solchen Zustand lange keinen Besuch mehr gehabt hatte, schon gar nicht einen, den ich kaum kannte, der mir aber dennoch alles andere als egal war. Bei dem Versuch zu lächeln, dem zu begegnen, wovon ich glaubte, es sei dein kritisch-finsterer Blick, spürte ich, wie die Haut über meinen Wangen spannte, wie geschwollen meine Lider noch waren, wie mir die Augen tränten. Mir ging auch nicht aus dem Kopf, daß ich im offenen Kleid erwacht war, jedoch ohne Erinnerung an den Grund dafür. Hatten wir einander nun angefaßt, oder wünschte ich mir bloß, daß es so gewesen sei? Dein nicht kritischer, trotzdem finsterer Blick hielt, als es mir endlich gelang, ihn zu erwidern, vollkommen dicht – und meinem stand, bis ich wegschauen mußte.
Weißt du, Harry, wie ich den bewundert und gehaßt habe, deinen üblichen Blick aus extrem geweiteten Pupillen, der mich absichtslos bezwang, der mir, da er unvergleichlich ruhig, aber leer war, völlige Deutungsfreiheit einräumte und doch dafür sorgte, daß jeder meiner Projektionsversuche an dir abprallte, der mich, wie eine schwarze Welle, immer wieder auf mich selbst zurückwarf, was einerseits Kraft kostete, andererseits stark machte.
»Und?« sagtest du mit rauher Stimme.
Ich wußte nichts zu antworten, starrte minutenlang auf einen Brandfleck in der Tischplatte, sog, weil ich mir selber noch keine anzünden mochte, mit geblähten Nasenlöchern den Qualm deiner Zigarette ein. Eher aus Verlegenheit als aus Neugier habe ich dich irgendwann gefragt, was du nun vorhättest, ob wir vielleicht spazierengehen sollten.
»Nein«, meintest du, »heute nicht mehr. Aber wir könnten uns mal wieder ein bißchen ausruhen.«
Mir war nicht klar, was genau du dir darunter vorstelltest. In der Horizontale Musik hören, rücklings rauchen, fernsehen und dabei einnicken, all diese »Untaten«, wie du dergleichen manchmal nanntest, hießen bei dir ausruhen. Doch das wußte ich an jenem Montag ja noch nicht – und folgte dir mit weichen Knien in mein Zimmer. Ich ließ mich auf die eine Matratze sinken, du dich zu meinem Erstaunen aber nicht über oder wenigstens neben mich, sondern auf die andere. Wir lagen ganz still, atmeten flach, fast tonlos, wie Eidechsen in der Sonne; das einzige, was ich deutlich spürte und sogar hörte, war das Knistern meines Haars, als unsere Schädel einander touchierten.
Ich wähnte dich schon schlafend und beschloß enttäuscht, es dir gleichzutun, da begannst du die längste Rede, zu der du dich in meiner Gegenwart je hast hinreißen lassen. Du seiest erst vor vierzehn Tagen aus dem Knast raus, JVA Tegel, auf Bewährung, weil du dich bereit erklärt hättest, »am Arsch
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