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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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weil ihr die Gäste nicht nerven solltet, zweitens, weil es zwischen euch beiden eh selten genug Stoff für ein Gespräch gegeben habe. Bernd, »das tapsige Weichei«, sei »absolut nicht deine Kragenweite«, dir aber »trotzdem nicht völlig schnuppe« gewesen. In der Schule hätte er lange vor dir versagt und auch »die ersten Joints gebaut«, als ihr gerade mal über den Tresenrand gucken konntet, jedenfalls groß genug wart, um Gläser zu spülen oder Bier zu zapfen und euch euer Futter selbst aus der Kneipenküche zu holen, das ewig gleiche: Bockwürste, Knacker, Buletten, Dillgurken, eiskalten Kartoffelsalat. Richtig gekümmert habe sich keiner um euch. Die Gäste seien mürrisch oder abgefüllt oder beides gewesen, Rosinante immer am Ausschenken, Rumschleppen, Zuprosten, Umfallen, Wegschlafen, dein Vater entweder auf Achse oder »in Null Komma nix auf hundert«, wenn er sich gelegentlich doch mal habe blicken lassen, bei seiner »Flickenfamilie«.
    Und eines Sonntags im August, Bernd sei gerade zwölf gewesen, du kurz davor, es zu werden, hätte euch der Alte »so übel vermöbelt«, daß ihr den Beschluß faßtet, euch mit Buletten umzubringen; genauer, erst die Buletten zu vergiften »und mit denen dann jeder sich selbst«. Am Automaten hättet ihr vier Schachteln HB gezogen, die Filter von den Zigaretten getrennt, den Tabak aus den Papierchen geschält und unter das zum Abbraten bereitstehende, gewürzte und mit geschrotetem Weißbrot gestreckte Hackfleisch geknetet. »Als Rosinante dann am Herd war, den Bulettenteig portioniert und plattgedrückt ins heiße Fett warf, merkte sie nicht das geringste. Es roch wie sonst, es schmeckte beschissen wie immer, fanden wir, eine Stunde und etliche Klopse später. Bernd wurde zuerst grün im Gesicht und kam zum Kotzen nicht mal mehr auf die Füße, bis zum Klo gleich gar nicht.« Du folgtest seinem Beispiel mit geringer Verspätung und »um einiges würdevoller«, wie du betontest. Ihr hättet in die Klinik gemußt, zum Magenauspumpen, und wärt auch danach noch tagelang krank gewesen, ebenso wie fünf von Rosinantes Stammgästen, die aber bloß je eine, höchstens zwei von den Tabakbuletten gegessen hätten. Alles sei herausgekommen, zum einen »oben und unten« aus euch und zum anderen aufgrund der Analyse des Mageninhalts aller Be troffenen. Dafür hätte euch dein Vater noch einmal verhauen, doch erst als er nicht mehr fürchten mußte, sich an euren »kleinen Idiotenärschen die Hände dreckig zu machen«.
    Eine volle Woche nach der »letzten widerstandslos hingenommenen Dresche« deines Lebens hätte der »alte Mistpfützenkrebs« dir dann beiläufig mitgeteilt, daß die Mutter deiner Mutter, deine heißgeliebte Lüneburger Oma, »ins Gras gebissen« habe, »buchstäblich«, denn sie sei »beim Karnickelfutter sicheln« auf der Wiese hinter ihrem Haus einem Herzinfarkt erlegen, ausgerechnet an dem Tag, an dem euer Selbstmordversuch fehlgeschlagen sei.
    Nun verfielst du in Schweigen, und ich lag noch immer auf deiner warmen, wolligen Brust. Und während ich mir ausmalte, wie ihr kotzend, von Bauchkrämpfen nieder- und krummgezogen, hinterm Tresen der Rose umeinanderrolltet, schliefst du ein. Ich wurde gleichfalls müde; und über die Bilder von dir als Junge und einem pickligen Milchbart namens Bernd, den ich nicht kannte und dem ich auch später nie begegnen sollte, schoben sich andere:
    Ich bin etwa ein halbes Jahr älter, als du es zu deiner Bulettenzeit warst, und mit meiner kleinen Schwester, meiner Mutter und meinem Vater an dem versteckt gelegenen brandenburgischen Waldsee in der Nähe unserer Laube. Meine Eltern und ich, wir sind, was selten vorkommt, vergnügt; nur meine wasserscheue Schwester Olga, die ihren Namen dem zweiten Idol meiner Mutter verdankt, der 1942 im Vernichtungslager Bernburg ermordeten deutschen Kommunistin Olga Benario, sitzt etwas abseits und säuerlich am Fuße der schief über den See gewachsenen Trauerweide, denn sie weiß, daß wir anderen gleich baden gehen und sie auffordern werden, uns zu folgen, vergeblich, wie immer.
    Meine einen Meter und fünfundachtzig Zentimeter große, stabil gebaute Mutter zieht sich als erste nackt aus und klettert, wie sie feierlich verkündet, »die Weide empor«. Ich gehe zum Ufer, schau sie mir an, genau, fast unverwandt, irritiert, aber ohne Mitleid; ihren schlaffen, von Schwangerschaftsstreifen gefurchten Bauch, ihre schweren Brüste mit den bräunlichen Nippeln, die, obwohl es sonnig warm ist,

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