Böse Sterne

herumlaufen! Das möchten wir Ihnen nachdrücklich versichern! Wir sind stolz, dass
     wir Sie kennen und immer noch am Leben sind. Wir bewundern es, dass Sie mit Ihren bissigen Bemerkungen niemanden schonen,
     höchstens sich selbst. Und uns, ja? Wir wissen es zu schätzen, dass Sie Ihre Finger – oder sind es doch Krallen? Zeigen Sie
     mal!   –, dass Sie die in die offene Wunde legen, bei anderen jedenfalls. Bei uns bitte nicht.
    Sie sind kompromisslos, das finden wir rühmenswert. Andere verbergen ihre Intoleranz, Sie sparen sich diese Mühe. Andere heben
     sich ihre sadistischen Neigungen für stille Stunden auf. Sie gehen diesen Neigungen jederzeit nach.
    |97| Wirklich, wir fänden es schön, wenn Sie zu unserer nächsten Geburtstagsfeier kämen. Denn diese Feiern geraten oft zu lang.
     Und wenn Sie dabei sind, gehen die Gäste früher. Dazu brauchen Sie sich gar nicht anzustrengen. Das schaffen Sie ganz nebenbei.
     Etwa indem Sie eine fiese kleine Bemerkung ins Gespräch streuen oder die heldenhafte Erzählung eines Gastes mit höhnischem
     Gelächter quittieren. Oder indem Sie, wenn jemand etwas Lustiges erzählt, in eisiger Verachtung verharren.
    Selbst wenn Sie nichts dergleichen tun, wird anderen bei Ihrem Erscheinen immer ein bisschen unwohl. Das hat einen tieferen
     Grund: Ihnen entgeht nichts. Sie erspüren die Stimmung. Sie merken, was verschwiegen wird oder unter den Tisch gekehrt werden
     soll. Sie holen es hervor. Sie sehen, was jemand verbirgt, und bringen es kaltblütig zur Sprache, bevor es ihm selbst ganz
     bewusst ist. So sorgen Sie, obwohl es kaum Ihre Absicht ist, unvermeidlich für peinliche Situationen.
    Erinnern Sie sich, dass Sie schon als Kind nicht sonderlich häufig zu Geburtstagsfeiern eingeladen wurden? Die Mütter der
     anderen Kinder wollten es nicht. Erstens um ihre eigenen Kleinen zu schonen. Zweitens weil Sie die Spannung in der Familie
     gewittert haben, die Krise zwischen den Eheleuten, und weil Sie – diese Schwächen ausnutzend – die Erwachsenen an ihre Grenzen
     getrieben haben. Mehrere Ihrer Lehrer mussten sich in langwierige |98| Behandlungen begeben und haben sich nie wieder richtig erholt.
    Verstehen Sie jetzt, warum Sie bei Schulaufführungen immer als Hexe, Drache oder böse Fee eingesetzt wurden? Wenn Sie sich
     heute zu einem sogenannten systemischen Familienstellen begeben würden, zu einer Art Therapietheater, würden Sie als geisteskranke
     Tante, Selbstmörder oder tyrannischer Stiefvater eingesetzt werden. Ist Ihnen schon passiert? Na bitte.
    Wir würden Sie als Engel aufstellen, damit das mal klar ist. Wir würden Ihre heilerischen Fähigkeiten herausstreichen. Nur
     die Dosis macht das Gift, sagt ein altes Sprichwort. Und Sie können dosieren. Sie können heilen. Das mag mal weh tun, klar.
     Das mag mal unbequem sein, sicher. Da können Dinge zum Vorschein kommen, die wir lieber verborgen hätten. Aber wenn sie endlich
     ans Licht gelangen, dann sind wir froh und erleichtert. Nur so kann Gesundung geschehen! Total ganzheitlich natürlich!
    Also, was wir damit sagen wollen: Wir finden Sie super. Sie brauchen uns nicht böse zu sein. Sie brauchen keine Rache zu üben.
     Sie müssen uns nicht bestrafen. Vielleicht lieber jemand anderen, ja? Denn wir finden Sie echt nett.
     
    Ihr sicherer Weg zum Liebeskummer
    Erinnern Sie sich, wie Sie als Kind Ihren Teddybären operiert haben? Er ist nie wieder ganz gesund geworden. |99| Und wie Sie Ihrer Puppe die Füllung entnommen haben? Oder haben Sie lediglich die Augen entfernt? Egal. Sie haben damals bereits
     eine chirurgische Begabung gezeigt. Sie sind geeignet für die Gerichtsmedizin. Für die Anatomie. Für die sezierende Forschung.
     Denn Sie wollen alles herausbekommen. Bis zum letzten Detail.
    Genau diese liebenswerten Neigungen und Talente bringen Sie jetzt in Ihre Beziehungen ein. Sie zersägen Ihren Partner nicht,
     jedenfalls nicht gleich am Anfang, obgleich es auch solche Exemplare Ihres Zeichens gegeben hat. Aber Sie werden mit Sicherheit
     die Füllung aus ihm oder ihr herauspulen, also sämtliche Gemütsbewegungen und zarten seelischen Regungen erspüren und ans
     Licht zerren.
    Wer eine längere Beziehung mit Ihnen eingeht, verlässt diese Beziehung nicht mehr als derjenige, der er zu sein glaubte. Frühere
     Freunde werden den radikal Gealterten schwerlich wiedererkennen. Lebend herauszukommen, ist schon sehr viel. Der berühmte
     Satz – »Manche Leute, von denen man glaubte, sie seien längst