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Böser Bruder, toter Bruder

Böser Bruder, toter Bruder

Titel: Böser Bruder, toter Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narinder Dhami
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dran ziehen würde.
    »Sie ist nicht durchgeknallt, sie ist krank«, erwidere ich und versuche, mich an ihnen vorbeizuschieben. »Das habe ich dir doch schon gesagt.«
    Kat bringt ihr Gesicht nah an meins. Sie hat Chips zum Frühstück gegessen.
    »Und ich habe dir gesagt, dass sie durchgeknallt ist!«, zischt sie. Mit einer blitzschnellen Bewegun g – mir bleibt nicht einmal Zeit, nach Luft zu schnappe n – greift sie nach meiner Krawatte und zieht sie so weit zu, dass sie mich fast erdrosselt. Ich taumele zurück und zerre panisch an der Krawatte, um sie zu lockern, doch Kat hält sie zufrieden lächelnd fest, sodass ich mir wie ein Hund an der Leine vorkomme.
    »Mal wieder ganz allein, wie ich sehe«, fährt sie mit einem gespielten Blick über die Schulter fort. »Willst du jetzt zu M s Kennedy rennen und ihr irgendwelche Geschichten auftischen? Wir wissen doch alle, wie sehr du auf sie abfährst, du Lesbe!«
    Kat lacht, lässt meine Krawatte los und schlendert davon. Man sieht ihr an, wie sehr sie ihre Macht über mich genießt. Ihre Anhänger rennen ihr kichernd nach und schnattern voller Bewunderung.
    Zitternd löse ich den engen Knoten meiner Krawatte und hole ein paarmal tief Luft. Ich kann nicht verhindern, dass in mir ein bitteres Gefühl aufsteigt. Jamie hat sich aus der Sache mit Kat fein herausgehalten. Früher wäre er herbeigeeilt, um mir zu helfen, aber die Zeiten sind vorbei.
    Bisher hat sie mich nur mit Worten angegriffen. Damit werde ich schon fertig. Doch heute hat sie mich zum ersten Mal angefasst. Das bedeutet wahrscheinlich, dass wir uns bald mit Fäusten attackieren, doch dieser Gedanke lässt mich seltsam kalt.
    »Du bist echt dumm, Mia. Wie lange willst du dir das noch gefallen lassen?«
    Ich fahre herum. Jamie hat sich mir lautlos genähert und durchbohrt mich wieder mit diesem eindringlichen Blick. Anscheinend hat er aus einiger Entfernung beobachtet, was geschehen ist, es aber nicht für nötig gehalten, mir beizustehen.
    Ich zucke mit den Schultern. »Was soll ich denn machen?«
    »Mia!«, ruft Jamie gequält.
    Ich zucke zusammen. Ich weiß ja, dass ich blöd und schwach bin, aber ich kann einfach keine Kraft mehr aufbringe n – egal wofür. Es kommt mir so vor, als wäre das, was mich ausgemacht ha t – mich einzigartig gemacht ha t –, im Laufe all dieser anstrengenden Jahre aus mir herausgesickert, bis nur noch eine leere Hülle zurückgeblieben ist.
    »Du könntest mir dabe i …«, setze ich an, aber er unterbricht mich.
    »Du musst lernen, dich zu wehren!«, sagt er und klingt dabei fast wie ein Prediger. »Bist du dir eigentlich nichts wert, Mia? Verdammt, willst du wirklich dein ganzes Leben so weitermachen? Dich nie verteidigen, dich von jedem schikanieren lassen?«
    Ich schweige. Leider sehe ich es genau so kommen.
    »Mir reicht’s.« Jamie ist immer unruhig, aber heute ist es extrem. Unaufhörlich tritt er von einem Bein auf das andere, lässt die Fingerknochen knacken und fährt sich mit der Hand durch die langen schwarzen Haare. Sein Gesicht ist leichenblass. Mir kommt der erschreckende, vielleicht auch abstruse Gedanke, dass Jamie einen Punkt erreicht hat, an dem es kein Zurück gibt. Dass er eine unsichtbare Grenze überschritten hat. »Ich habe es so satt!«
    Er sieht mich nicht an, sondern durch mich hindurch. In seinem Blick liegt etwas Unheimliches. Skrupellosigkeit? Jedenfalls erinnert er mich an Mum, und ich fange wieder an zu zittern.
    »Ich werde alle wachrütteln«, sagt er leise. »Auch Mum. Jetzt ist endgültig Schluss.«
    Bevor ich reagieren kann, dreht Jamie sich um und geht. Seine Körperhaltung drückt eiserne Entschlossenheit aus. Ich laufe ihm nach, als er sich durch die Schülermassen drängt, verliere ihn jedoch rasch aus den Augen. Muss ich mir Sorgen machen? Durch ein paar Vorfälle in der Vergangenheit weiß ich, wozu Jamie fähig ist, aber ich verdränge meine Angst. Ich will es nicht wahrhaben. Ich bin eben feige.
    »Hey, Mia!«
    Meine Freundin Bree winkt mir quer über den Schulhof zu. Bree ist immer gut drauf, voller Energie und hat reine, strahlende Haut und blondes Haar. Sie müsste eigentlich im Fernsehen für etwas Gesundes wie Milch oder Schweizer Käse werben. Wir sind seit der Grundschule miteinander befreundet. Bree war immer schon hübscher und beliebter als ich, aber als wir in der vierten Klasse waren, litt ihre Mutter an einer schweren Depression. Bree brauchte Trost und fand ihn bei mir, und als ihre Mutter wieder gesund war,

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