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Böser Bruder, toter Bruder

Böser Bruder, toter Bruder

Titel: Böser Bruder, toter Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narinder Dhami
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Wahrheit eingestehe: Ich bin noch hier, weil ich davon ausgehe, dass es Jamie ist. Was er heute Morgen gesagt, wie er mich angesehen hat, die Trauer in seinen Augen, die Anspannung in ih m – all das schreit förmlich danach, dass er der Amokläufer ist. Und nichts und niemand kann mich dazu bringen, meinen Zwillingsbruder jetzt allein zu lassen.
    Ich weiß mit Übelkeit erregender Gewissheit, dass die 9 d noch im Nebengebäude is t – mit Jamie. Vielleicht kommen einige von den Kids dort nicht mehr lebend heraus. Das darf ich nicht zulassen, selbst wenn er wegen mir hinter Kat und ihrer Clique her sein sollte.
    Aber ich weiß auch, dass es eigentlich gar nicht um mich und Kat geht, sondern vielmehr um Mum und unser gestörtes, unerträgliches Zusammenleben. So muss es sein, denn Jamie hat mir doch gesagt, dass etwas passieren würde. Dass er Mum um jeden Preis dazu zwingen würde, endlich zu begreifen, was sie uns mit ihrer Krankheit und ihrer bescheuerten Weigerung, sich helfen zu lassen, antut.
    Das hier ist Jamies letzter verzweifelter Versuch, eine gleichgültige Welt wachzurütteln. Vielleicht ist das auch sein letztes Geschenk an mich, bevor er mich »verlässt«.
    Eine noch schlimmere Vorstellung: Jamie ist nicht mehr er selbst und dreht völlig durch, ohne zu merken, was er anrichtet.
    Ist es möglich, dass Jamie eine Waffe hat?
    Ja, das ist sogar sehr gut möglich.
    Ich weiß auch, woher.

Drei
    Bevor wir zu Opa zogen, wohnten wir in einer sehr kleinen, engen Zweizimmerwohnung ganz oben in einem Hochhaus in Birmingham. Jamie und ich teilten uns das Schlafzimmer und Mum schlief im Wohnzimmer auf der Couch. Rückblickend erkenne ich, dass die Siedlung alle Klischees für einen sozialen Brennpunkt erfüllte: hässliche, trostlose Hochhäuser, drum herum viel Beton, Jugendliche in Kapuzensweatshirts, die in dunklen Ecken abhingen, hier und da ein ausgebranntes Auto. Die Fahrstühle funktionierten nie und rochen nach Pipi. Es konnte einem passieren, dass man um die Ecke bog und über eine Gestalt mit einer Tüte mit Klebstoff stolperte, die auf der Treppe zusammengebrochen war.
    Da Jamie und ich noch klein waren, bekamen wir nicht viel davon mit. Wir blieben meistens in der Wohnung, denn Mum verabscheute das Viertel. Wahrscheinlich war es der Auslöser für ihre Depression. Meistens legte sie sich ins Bett und blieb den ganzen Tag dort. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate. Jamie und ich machten uns etwas zu essen, wuschen uns und brachten uns selbst ins Bet t – na ja, so in der Art. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich damals je Angst gehabt habe. Damals waren Jamie und ich glücklich, wenn wir zusammen waren, und das waren wir dauernd.
    An einem regnerischen Tag spielten Jamie und ich im tunnelartigen, feuchten Korridor der Wohnung unser Lieblingsspiel. Dazu düsten wir von einem Ende des Flurs zum anderen und sprangen über die Löcher im Teppich, in denen die Krokodile lauerten. Weil Mum schlief, versuchten wir, möglichst wenig Lärm zu machen, und wir mussten uns die Hand auf den Mund pressen, um unser Gekicher zu dämpfen.
    Plötzlich klopfte es an der Tür. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich Jamie an. Was sollten wir tun?
    »Wer ist das?«, flüsterte ich. Wir bekamen nicht oft Besuch. Und wenn jemand kam, wollte er meistens Geld.
    »Ich weiß nicht«, flüsterte Jamie zurück.
    Und so standen wir dort und starrten die Tür an. Jamie steckte den Daumen in den Mund, wie er es immer tat, wenn er sich Sorgen machte.
    »Sollen wir Mum aufwecken?«, fragte ich.
    »Wieso denn? Sie macht doch sowieso nichts.«
    Obwohl wir noch klein waren, war uns schon bewusst, dass Mum krank war.
    »Aber es könnte der Krokodilkönig sein«, wandte ich ernst ein. »Komm, wir laufen leise weg, bevor er uns frisst.«
    Wir wollten gerade auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer zurückschleichen, als die ramponierte Klappe des Briefschlitzes aufging und ein paar freundliche blaue Augen hereinblickten. Diese Augen kannten wir.
    Jauchzend hüpfte ich zur Tür zurück. »Opa! Jamie, Opa ist da!«
    Opa wohnte nur ein paar Kilometer von uns entfernt, aber er kam uns erst seit zwei Monaten hin und wieder besuchen. Nach einem heftigen Streit hatten er und Mum jahrelang kein Wort miteinander gesprochen. Ich weiß nicht genau, was damals vorgefallen ist, aber ich glaube, Mum hatte ihm und Oma Geld gestohlen. Oma war inzwischen an einem Herzanfall gestorben und Opa lebte allein.
    »Hallo, mein Schatz«, sagte er durch den

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