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Böser Bruder, toter Bruder

Böser Bruder, toter Bruder

Titel: Böser Bruder, toter Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narinder Dhami
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arrangiert. Während ich mir viel zu große Armreife über meine schmalen Handgelenke schob, wühlte Jamie neben mir in einer Blechkiste.
    »Mia! Guck mal, was ich gefunden habe!«
    Fröhlich summend versuchte ich gerade, den Verschluss einer Perlenkette in meinem Nacken zu schließen. Ich wandte mich zu Jamie um, und die Perlen glitten mir aus den Fingern, als ich mir bewusst wurde, dass er eine Waffe auf mich richtete.
    »Ist die echt?«, fragte ich ehrfürchtig. Ich kann mich nicht erinnern, Angst gehabt zu haben, wohl aber daran, dass ich den hellgrauen Revolver mit den silbernen Einlegearbeiten schön fand.
    »Ich weiß nicht.« Jamie hielt die Waffe mit beiden Händen und zielte immer noch auf mich. Er wollte den Abzug drücken, aber es ging nicht. »Peng, peng, du bist tot!«
    Ich sank anmutig neben die Blechkiste und presste mir die Hand aufs Herz. Jamie brüllte vor Lachen.
    »Lass mich auch mal«, sagte ich.
    Jamie ignorierte mich. Er betrachtete den Abzug genauer. »Kaputt«, stellte er enttäuscht fest. »Es geht nicht.«
    »Jamie! Ich will auch mal sehen!«, verlangte ich und schnappte mir die Waffe.
    Sie fühlte sich kühl und glatt an. Das Gewicht und die Form waren meinen kleinen Händen völlig fremd und deshalb sehr faszinierend.
    Ich richtete die Pistole auf Jamie und versuchte wie er, den Abzug zu drücken, aber er bewegte sich nicht. »Peng! Peng! Jetzt bist du tot!«
    »Urgh!« Jamie gab einen gurgelnden Laut von sich und taumelte übertrieben durch den Raum. Dabei hielt er sich die Seite. »Du hast mich getroffen.«
    Schritte vor der Tür. Jamie und ich fuhren herum, das Schuldbewusstsein war uns deutlich ins Gesicht geschrieben.
    In ihrem alten Morgenmantel und mit einem roten Handtuch ums Haar gewickelt erschien Mum im Türrahmen. Sie sah mich mit der Waffe, und ihr Schrei war so schrill, dass uns fast das Dach auf den Kopf krachte.
    »Mein Gott, Mia, was machst du da?«
    Mum rannte durch den Speicher, stolperte dabei fast über den Saum ihres Morgenmantels und riss mir die Pistole aus der Hand. Sie hielt das Ding am Zeigefinger baumelnd vorsichtig von uns und von sich selbst weg, als fürchtete sie, dass es gleich von allein losgehen würde.
    »Wo hast du die her?«, fauchte Mum. »Mia, Pistolen sind sehr gefährlich. Du hättest dich damit umbringen können! Du bist ein sehr, sehr unartiges Mädchen, und ich werde Opa sagen, was du getan hast. Er wird sehr böse auf dich sein!«
    Tränen brannten mir in den Augen. Opa sollte nicht erfahren, dass ich ihm nicht gehorcht hatte!
    »Jamie hat sie gefunden«, sagte ich und zeigte anklagend auf meinen Bruder. »Er hat damit angefangen.«
    »Petze!«, murrte Jamie.
    Mum, die die Pistole immer noch auf Armeslänge von sich hielt, sah ihn wütend an.
    »Dann warst du auch sehr unartig, Jamie. Und jetzt raus hier und runter in den ersten Stock, damit ich euch im Auge behalten kann.«
    Ich weiß nicht, was mit der Pistole geschah. Ich weiß nicht einmal, ob Mum es Opa tatsächlich erzählte, denn obwohl ich voller Angst darauf wartete, von ihm ausgeschimpft zu werden, erwähnte er den Vorfall nie. Vielleicht behielt Mum die Waffe aus irgendeinem Grund bei sich. Oder vielleicht hat sie sie versteckt und dann einfach vergessen. Ich habe keine Ahnung.
    Aber jetzt erinnere ich mich wieder, dass Jamie die Waffe im vergangenen Jahr noch einmal erwähnt hat. Kurz nach Opas Tod. Mum wollte das alte Zeug vom Dachboden auf dem Flohmarkt verkaufen. Während wir darin herumwühlten, fragte Jamie wie beiläufig: »Weißt du noch, wie ich die Pistole gefunden habe?«
    »Ja«, antwortete ich. »Mum ist ausgerastet.«
    »Ich glaube nicht, dass die Waffe kaputt war.« Er stapelte gerade ledergebundene Bücher in einen Karton und hatte sein Gesicht abgewandt. »Ich glaube, dass der Abzug geklemmt hat und wir bloß zu klein waren, um ihn richtig zu drücken. Das Ding war geladen, Mia. War dir das bewusst?«
    Ich schüttelte den Kopf. Damals dachte ich mir nichts weiter dabei. Jetzt aber fällt mir diese Bemerkung wieder ein und lässt mich nicht mehr los.
    Bedeutet das, dass Jamie die Waffe wiedergefunden und den Abzug ausprobiert hat?

Vier
    Montag, 10. März, 9.04 Uhr
    Fröstelnd hocke ich auf meinem Macbeth -Stapel und frage mich, was zum Teufel ich hier mache.
    Es ist still. Der Lärm ist nicht langsam verklungen, sondern hat schlagartig aufgehört, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Anscheinend haben alle das Gebäude verlassen, zumindest hier im Haupttrakt,

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